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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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drückte ich mit einem Gefühl von Beklemmung auf den Klingelknopf. Merle machte mir auf, und ich erkannte auf den ersten Blick, wie nervös sie war.
    »Gut, dass du da bist«, flüsterte sie und fiel mir um den Hals.
    Die Tür zum Behandlungszimmer war geschlossen. Ich schaute mich nach Ruth um, konnte sie jedoch nicht entdecken.
    »Ruth hat heute frei.« Merle, die meinen Blick bemerkt hatte, flüsterte immer noch. »Tilo eigentlich auch. Er ist mit Mina dadrin.«
    »Wie geht es ihr?«, fragte ich und fürchtete mich vor der Antwort.
    Merle druckste herum. Der Ausdruck in ihren Augen gefiel mir nicht. Irgendetwas Schlimmes war passiert.
    »Nun sag schon!«
    Merle hob die Schultern. Als wollte sie dem, was sie mir mitzuteilen hatte, die Schwere nehmen. »Sie behauptet, ihren Vater ermordet zu haben.«
    »Was?«
    »Du hast richtig gehört.«
    »Vater? Wieso Vater?«
    »Der Mord in der alten Fabrik …« Merle verhaspelte sich vor Ungeduld. »Der Tote ist Minas Vater!«
    »Und sie hat ihn …«
    Merle nickte.
    »Man bringt doch seinen Vater nicht um.« Mir wurde sofort bewusst, dass ich Unsinn redete. Bestimmt waren schon unzählige Väter von ihren Kindern ermordet worden.
    Merle schwieg. Vielleicht dachte sie dasselbe.
    »Mina hat ihren Vater nicht umgebracht«, sagte ich. »Und wenn sie es hundertmal behauptet. Sie ist keine Täterin. Sie ist höchstens ein Opfer.«
    »Und das viele Blut?«
    »Das kann ganz andere Gründe haben.«
    »Klar. Jeder ist ein kleiner Siegfried und badet dann und wann in Blut.«
    Ihr Zynismus war nicht echt. Ich fasste sie an den Schultern und schüttelte sie. »Merle! Er war ihr Vater!«
    »Ich kann’s ja auch nicht glauben.« Kleinlaut machte sie sich von mir los. »Aber sie hat es selbst gesagt. Ich habe meinen Vater ermordet. Das waren ihre Worte.«
    In diesem Augenblick öffnete sich die Tür zum Behandlungszimmer und Tilo schaute heraus.
    »Jette!«
    Er schien nicht überrascht, mich zu sehen, eher erfreut. Als käme ich gerade recht. Als hätte er mich erwartet. Sein Körper versperrte die Sicht ins Zimmer und er trat einen Schritt zur Seite.
    Mina saß auf der Couch, die Arme vor der Brust verschränkt, als wäre ihr kalt oder als wollte sie sich vor irgendwas schützen.
    »Dürfen wir zu ihr?«, fragte ich.
    Tilo nickte und gab die Tür frei. Er ging an den Kühlschrank in der kleinen Küche und holte eine Flasche Wasser heraus.
    Mina lächelte, als sie Merle und mich erblickte. Ihr Lächeln war dünn und unsicher und es steckte eine Frage darin.
    »Du hast doch wohl nicht geglaubt, wir lassen dich im Stich?« Merle setzte sich neben sie. Sie strahlte eine Zuversicht aus, die sie überhaupt nicht empfinden konnte.
    »Nein.« Minas Lächeln vertiefte sich.
    »Du hast uns jetzt am Hals.« Ich setzte mich auf der anderen Seite neben sie. »Ob du willst oder nicht.«
    Mina atmete tief ein und aus. Dann versank sie wieder in Schweigen.
    Merle und ich sahen uns an. Und dachten beide dasselbe. Eine neue Freundschaft hatte begonnen und wir waren darin gefangen, auf Gedeih und Verderb.
     
    Die Mädchen waren da.
    Sie hatten sie nicht vergessen, nicht aufgegeben. Wieso taten sie das für eine wie sie? Für eine, die Zuneigung gar nicht verdiente?
    Auch wenn sie ihr nicht helfen konnten - allein ihre Fürsorglichkeit war schon ein Wunder.
    Sie sorgten sich um sie …
    Mina atmete dieses fremde, wundervolle Gefühl tief ein, um es nie wieder zu verlieren. Im nächsten Moment kamen die Ängste zurück. Stärker als zuvor. Das Zimmer drehte sich vor ihren Augen.
     
    Gleich eine der ersten Befragungen führte Bert Melzig in die  besseren Kreise, wie der Chef das soziale Umfeld der Leute zu nennen pflegte, die nicht nur das Kapital hatten und sämtliche damit verbundenen Privilegien, sondern auch das Sagen. Eine resolute, brombeerfarben gekleidete Dame gegen Ende der Vierziger nahm ihn in Empfang und geleitete ihn ins Zimmer des Bürgermeisters.
    Bert schob unangenehme Dinge nicht gern vor sich her, also hatte er beschlossen, in der Höhle des Löwen anzufangen. Der Löwe war seit zwei Jahren im Amt und stand seit Kurzem unter dem Verdacht der Vetternwirtschaft, was bei  ihm jedoch nicht zu Schuldbewusstsein oder gar Läuterung geführt hatte. Im Gegenteil - er brüllte nur noch lauter. Bert gehörte nicht zu den Menschen, die ihn schätzten, anders als der Chef, der regelmäßig Golf mit ihm spielte.
    Der Chef und Golf, das war eigentlich wie Feuer und Wasser. Bert konnte sich nicht

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