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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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und wandte sich wieder dem Computer zu. Und dem Roman, an dem sie gerade arbeitete. Ihre Schreibhemmung war vorüber. Ein Gedanke fügte sich an den andern. Nach einigen Minuten war sie vollkommen in die Welt ihrer Figuren eingetaucht. Alles andere spielte keine Rolle mehr.
     
    Sie konnte nicht reden. Offenbar spürte Tilo das. Er lotste Jette und Merle in die kleine Küche, angeblich, um frischen Tee zu kochen. In Wirklichkeit wollte er Mina wohl Zeit geben. Und Ruhe. Er wusste, dass es keinen Sinn hatte, sie zu bedrängen.
    Wie oft sie schon in diesem Zimmer gewesen war. Anfangs  völlig verschüchtert und außer sich vor Angst und Unsicherheit. Die Therapie war in Wellen und Tälern verlaufen, hatte Mina in Verzweiflung gestürzt und sie für kurze Augenblicke beinahe Glück empfinden lassen. Und irgendwann hatte sie Hoffnung geschöpft und geglaubt, mit Tilos Hilfe könne sie zu einem Ende gelangen. Nicht dem Happyend der Märchen, aber doch einem Ende, das es ihr erlauben würde, am Leben zu bleiben.
    Und jetzt? Jetzt war alles zerstört.
    Sie hatte ihren Vater getötet. Wer so etwas getan hatte, kam nicht davon. Er hatte seinen Anspruch auf Glück verwirkt. Wenn es einen Anspruch auf so etwas Flüchtiges wie Glück überhaupt gab.
    Mina horchte in sich hinein. Sie erwartete, ein Gefühl wie Trauer zu finden. Doch da war nichts. Nicht einmal ein Hauch von Bedauern. Das Einzige, was sie empfand, war Grauen. In diesem Grauen war alles eingeschlossen, das viele Blut, die Angst, der Verlust von Zeit und das Fehlen jeglicher Erinnerung.
    Die Stimmen in der Küche waren bloß ein Gemurmel. Mina streckte sich auf dem Sofa aus und bedeckte die Augen mit den Händen. So machte sie es immer, wenn ihre Lider nervös zuckten wie jetzt. Ein bisschen ausruhen, das würde ihr guttun. Danach würde sie mit Tilos Hilfe versuchen, die Lücken in ihrer Erinnerung zu füllen. Vielleicht konnte er ihr auch nicht helfen. Aber er würde es versuchen.
     

Kapitel 8
    Merle atmete so flach wie möglich. Ein Magen-Darm-Virus grassierte im Katzenhaus. Die Tiere wurden behandelt, aber bis jetzt hatte sich kaum Besserung gezeigt. Der säuerliche Gestank in den Räumen war unerträglich. Weil die Katzen es manchmal nicht schnell genug bis zu einem der überall aufgestellten Klos schafften, musste der Boden mehrmals am Tag gewischt werden. Selbst an den Wandfliesen klebten braune Spritzer.
    Gismo rieb den dicken Katerkopf an Merles Hüfte. Er schmeichelte sich gern ein, was ihm in der Regel auch mühelos gelang. Nur fand sich niemand, der ihn für immer mit nach Hause nehmen wollte. Gismo war weiß und riesig. Ein Lamm im Katzenpelz, aber die Leute fürchteten sich trotzdem vor ihm.
    Queeny schnüffelte jedes gereinigte Katzenklo ab, als wollte sie überprüfen, ob Merle auch gründlich genug gearbeitet hatte. Sie war eine schwarze Schönheit mit einem winzigen weißen Fleck auf der Brust, der ihr etwas Zerbrechliches gab.
    Mit den Namen war es im Tierheim so eine Sache. Es kam Merle immer vor, als drückten sie die Sehnsucht nach einer Welt aus, die weniger grausam war. Die Namen waren wohlklingend oder witzig und meistens das Ergebnis langer Diskussionen zwischen den Mitarbeitern des Heims. Als warteten nicht wichtigere Fragen darauf, geklärt zu werden.
    Es gab einen Merlin, einen Amadeus, einen Mephisto, einen Caruso und einen Tartuffe. Eine Madame, eine Blossom, eine Serafina, eine Beauty und eine Aimée. Aber es gab auch einen Snoopy, einen Snowball, einen Peppermint und einen Fritz, ein Klärchen, eine Frieda und eine Tante Käthe.
    Merles Liebling war Smoky, ein schmutzig grauer Kater, der halb verhungert ausgesetzt worden war. Trotz der guten Pflege hatte er sein ausgemergeltes Aussehen beibehalten. Sein Fell war dünn und fleckig, und der Blick seiner getrübten Augen verriet, wie viel Elend er gesehen hatte.
    Niemand versuchte ernsthaft, den verträglichen, freundlichen alten Smoky noch zu vermitteln. Er hatte sich im Tierheim eingerichtet und war daraus gar nicht mehr wegzudenken. Als einziges Tier durfte er sich überall frei bewegen, und sobald Merle das Gelände betrat, war er da und folgte ihr auf Schritt und Tritt. Er hatte eine heisere, zärtliche Stimme und Augen, die einmal wie Bernstein gewesen sein mussten. Und er sah Merle so hingebungsvoll an, dass es ihr ins Herz schnitt. Sollte sie jemals aufhören, hier zu arbeiten, dann würde sie ihn mitnehmen. Jette würde sich schon an ihn gewöhnen.
    »Aber im Augenblick

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