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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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Chef einbringen. Eine von der unerfreulichen Sorte.
    »Zwischen zwölf und sechzehn Uhr?«
    So ähnlich musste Rumpelstilzchen ausgesehen haben, als die Königin seinen Namen herausgefunden hatte.
    »Am besten, Sie wenden sich an meine Sekretärin. Ich habe zu tun.«
    Bert schloss die Tür hinter sich und lächelte die Sekretärin freundlich an. Er hätte gewettet, dass der Bürgermeister bereits telefonierte. Wahrscheinlich mit einer ganzen Reihe von Leuten. Zuallererst jedoch mit Berts Chef.
     
    Das Internet gab nicht viele Informationen über die Wahren Anbeter Gottes her. Aber es waren genug, um Imkes Phantasie anzuregen. Sie versuchte sich vorzustellen, wie sich dieses Mädchen da einfügte. Bram Stokers Mina. Herausgefallen aus einer phantastischen Welt in die Wirklichkeit.
    Welche Dämonen hatten sie in Tilos Praxis stranden lassen? Sie war schon ziemlich lange seine Patientin und nahm bei ihm eine Sonderstellung ein. Sie beschäftigte ihn. Etwas an ihrem Krankheitsbild musste ihn stark interessieren. Und nun war sie verschwunden. Und ihr Vater war das Opfer eines Mörders geworden.
    Imke schrieb blaue Worte auf frisches weißes Papier. Mädchen. Haus. Waldrand. Religion. Einzelkind? Alter? Einziger Freund. Strenge Erziehung. Bigotte Mutter? Sie schaute aus dem Fenster, sah den Wolken zu, wie sie langsam über den Himmel trieben. Unterschied zwischen Sekte und religiösem Zirkel? Gesellschaftlicher Hintergrund der Mitglieder? Messen? Gebete? Repressalien?
    Sie hatte einen wundervollen Beruf. Konnte Gott sein und Teufel. Heute eine Welt erschaffen und sie morgen zerstören oder durch eine andere ersetzen, ganz wie es ihr gefiel. Der Alltag war voller Geschichten. Man musste sie nur finden. Und dann in ein Stück Literatur verwandeln.
    Sie sei ein Ungeheuer, hatte ihr Mann ihr kurz vor der Scheidung einmal vorgeworfen, ein Monster, das sich das Leben anderer einverleibe, es wollüstig verdaue und dann als Roman wieder ausscheide.
    »So hast du es auch mit mir gemacht«, hatte er sie angefahren. »Du hast nicht mit mir gelebt - du hast mir das Blut ausgesaugt.«
    Er hatte schon immer eine theatralische Ader gehabt. Und eine Vorliebe für Klischees. Er war der Typ Mann, der zu jedem Anlass rote Rosen schenkt und sich in Liebesschwüren ergeht, gleichzeitig jedoch die Finger nicht von anderen Frauen lassen kann.
    »Scheißkerl«, murmelte Imke und stellte fest, dass sie noch immer nicht mit ihm fertig war. Sie hatte kürzlich gehört, in seiner neuen Ehe kriselte es gewaltig. Sie hatte das nicht bedauert, denn es geschah ihm recht.
    Es ärgerte sie, dass sie neuerdings von Skrupeln geplagt wurde. Schließlich war es ja nicht so, dass sie ihre Umgebung zu reinem Material reduzierte, aus dem sie auswählte, was sie für ihr Schreiben benötigte. Sie ließ sich lediglich inspirieren. Tat das nicht jeder Künstler?
    Bram Stoker. Satanismus. Kult.
    Am liebsten hätte sie sofort mit den Recherchen angefangen. Sie bedauerte es, nicht zwei Bücher parallel schreiben zu können. Sie hatte es ein paarmal versucht, sich jedoch schon in den ersten Kapiteln verheddert.
    Psychische Erkrankungen. Therapie. Beziehung zwischen Therapeut und Patientin. Psychiatrie.
    Sie legte den Kugelschreiber weg und rieb sich die Finger. Drei Seiten Notizen. Nicht schlecht. An die Psychoanalyse hatte sie sich noch nie herangewagt. Dabei lebte sie doch mit einem Fachmann zusammen. Er könnte bestimmt jede ihrer Fragen beantworten und ihr beratend zur Seite stehen.
    Als er Nachricht von Mina bekommen hatte, war er so erleichtert gewesen, dass er gar nicht mehr aufhören konnte zu lächeln.
    »Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird«, hatte er gesagt und ihr einen flüchtigen Kuss aufs Ohr geschmatzt. Im Laufen hatte er sich das Sakko übergeworfen und war so schnell losgefahren, dass der Kies unter den Reifen weggespritzt war.
    »Kommst du allein zurecht?«, hatte er vorher noch gefragt.
    Als hätte es für Imke nicht ein Leben vor Tilo gegeben. Sie war ein wenig enttäuscht darüber gewesen, dass er ihren Plan, den Tag gemeinsam zu verbringen, für eine Patientin opferte. Andrerseits hätte es ihr auch nicht gefallen, wenn er sich nicht um das Mädchen gekümmert hätte.
    »Ich werde mir Mühe geben«, hatte sie geantwortet und ihm seine Tasche hingehalten. Sie hatte ihm nachgewunken wie eine Vorstadtfrau in einem amerikanischen Film der Sechzigerjahre und dann beschlossen, ein bisschen zu arbeiten.
    Sie ließ Papier und Kugelschreiber liegen

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