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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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wollte.
    »Mina hat eine Therapie gemacht«, sagte Marlene Kronmeyer. »Schon seit zwei Jahren. Sie hatte Probleme.«
    »Eine Therapie?«
    »Bei Tilo Baumgart. Er genießt einen guten Ruf. Aber Mina ist nicht zur Ruhe gekommen. Manchmal denke ich, es ist dadurch alles nur schlimmer geworden.«
    »War das denn das Ziel der Therapie? Mina ruhiger werden zu lassen?«
    Marlene Kronmeyer nickte. »Nur aus diesem Grund hat mein Mann der Therapie zugestimmt. Er hält«, sie zögerte, »hielt nichts von Psychologen und ihren Methoden. Er war davon überzeugt, dass die Menschen ihr Heil nur im Gebet finden können.«
    »Und Sie? Was glauben Sie?«
    Sie zuckte zusammen. Als hätte Bert sie mit seiner Bitte um ihre Meinung erschreckt.
    »Ich glaube, dass Mina Hilfe braucht«, sagte sie leise. »Irgendetwas fehlt ihr. Etwas, das man braucht, um das Leben zu meistern.«
    Meistern. Du liebe Güte. Es lief Bert kalt den Rücken hinunter. »Und die Therapie hat Ihre Erwartungen nicht erfüllt?«, fragte er.
    »Sie …« Marlene Kronmeyer suchte nach Worten. Hilflos öffnete sie die Hände. »Sie hat zu Auseinandersetzungen geführt. Und zu Tränen. Sie hat meinen Mann … zornig gemacht.«
    Bert schwieg. Er ahnte, was als Nächstes kommen würde.
    »Es war der Zorn Gottes, der sich durch meinen Mann Gehör verschafft hat.«
    Der Zorn Gottes. Bert hatte eine klare Vorstellung davon. Am häufigsten schaffte Zorn sich Gehör mit Gewalt. Welche Ausmaße musste erst die Gewalt haben, die aus dem Zorn Gottes entstand?
    Wieder breitete sich ein Schweigen aus, das Bert nicht unterbrach.
    »Ich bin froh … dass mein Mann unsere Tochter nicht in die Fin… nicht gefunden hat. Er war außer sich, als wir feststellten, dass sie weggelaufen war.«
    Außer sich. Die Gewalt schien noch immer greifbar in diesen Räumen. Bert hatte ein untrügliches Gespür dafür. Er hatte zu viel Gewalt gesehen. Und erlebt. Am eigenen Leib. Damals, als er noch ein Kind gewesen war.
    Er schüttelte die Erinnerung an das Gespräch mit Marlene Kronmeyer ab, stand auf und griff nach seinem Jackett. Es war Zeit für die Unterhaltung mit Ben. Bevor er die Tür seines Büros öffnete, atmete er einmal tief durch, um sich zu wappnen. Dieser Fall stieß ihn zurück in eine Zeit in seinem Leben, die zum Glück längst vergangen war.
     
    Als hätte der Name Marius Zauberkraft. Er verschaffte ihm Respekt. Selbst ein Tilo Baumgart wahrte Distanz. Und Distanz war das, was Marius brauchte. Er ließ sich nichts vormachen, sich nicht besänftigen mit freundlichen Worten. Das ganze Psychogequatsche ging ihm gegen den Strich. Es kam ihm zu nah.
    Marius war nicht leicht einzuschüchtern. Auch nicht leicht zu beeindrucken. Er wusste, dass er draußen nicht die Welt sah, sondern bloß ihre Fassade. Einen Blick dahinter zu tun,  war wahnsinnig schwer. Es gelang ihm hin und wieder, aber nicht allzu oft.
    Vielleicht, dachte er manchmal, war auch die Welt selbst bloß die Fassade einer anderen Welt, einer, die wiederum dahinterlag. Und vielleicht wiederholte sich das ins Unendliche. Wie in einem Spiegellabyrinth.
    Marius war noch nie in einem Spiegellabyrinth gewesen. Er kicherte. Und wenn er tatsächlich in einem lebte?
    Er bemerkte, dass Tilo schwieg. Dass in seinem Schweigen eine Erwartung lag. Zum Teufel mit Tilo und seinen Erwartungen! Marius brauchte keinen, um klarzukommen. Er brauchte erst recht keinen, der ihm sagte, was richtig war und was falsch. Die Zeit der Vorschriften war vorbei. Endgültig. Er würde niemandem mehr erlauben, über sein Leben zu bestimmen, erst recht nicht einem Psychoheini.
     
    Der Wagen des Kommissars fuhr auf den Hof und im selben Moment zuckte der erste Blitz über den fast schwarzen Himmel. Das Licht über den Dächern war unwirklich. Es erinnerte Ben an die Beleuchtung eines Aquariums, das er einmal in einer Zoohandlung gesehen hatte, ein Salzwasseraquarium mit Tieren, die sich an die grauen Steinbrocken klammerten wie Pflanzen.
    Marlene hatte eine Kanne Tee bereitgestellt. Eigentlich hatte sie im Wohnzimmer decken wollen, aber Ben hatte sich für die Werkstatt entschieden. Hier war sein eigentliches Zuhause. Hier waren die Möbel, das Werkzeug, der Geruch nach Öl, Wachs und Leim. Hier fühlte er sich aufgehoben und sicher.
    Und dann merkte er doch, wie er unter dem Blick des Kommissars schrumpfte, wie das bisschen Selbstsicherheit sich verflüchtigte und dem alten Stottern Platz machen wollte, mit  dem er sich eine Kindheit lang geplagt hatte.

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