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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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weiter mit dem Kommissar hier herumzusitzen.
    Blitz und Donner folgten einander jetzt in rascher Folge. Das Gewitter war genau über ihnen.
     
    Eine solche Situation brachte Bert immer wieder in einen Zwiespalt. Er wäre ein schlechter Polizist gewesen, wenn er an diesem Punkt des Gesprächs nicht nachgehakt hätte. Andrerseits hätte er dem Jungen gern ein wenig Luft verschafft. Er konnte ja sehen, wie sehr er ihn bedrängt hatte.
    Aber genau das machte gute (der Chef würde sagen effektive) Polizeiarbeit aus: Man nutzte die Schwäche seines Gegenübers, um gnadenlos zuzustoßen.
    Bert seufzte. Die Rollen mussten klar verteilt sein. Wenn einer den Ablauf dieser Unterhaltung diktierte, dann er, nicht Ben. Was nicht bedeutete, dass er die Leine kurz halten musste. Im Gegenteil. Es war oft von Vorteil, wenn man dem andern einen Spielraum ließ. Die meisten redeten sich irgendwann von ganz allein um Kopf und Kragen.
    Bert verabscheute das Vokabular, das ihm in den Sinn kam, wenn er über seine Arbeit nachdachte, und es war ihm klar, dass es eher auf einen Kriegsschauplatz gehörte, ins tiefe Mittelalter oder auf ein Hundeübungsgelände. Er hasste die Zwänge, in denen er als Ermittler steckte. Die ihn Dinge tun ließen, die eigentlich gar nicht zu ihm passten, die aber notwendig waren, um sein Ziel zu verfolgen.
    Sein Ziel war die Aufklärung eines Verbrechens. Und das war das Einzige, was ihn mit all den Nachteilen seiner Arbeit versöhnte - er diente der Gerechtigkeit, und mit der Lösung eines Mordfalls gab er dem Opfer seine Würde zurück.
    Allerdings waren nicht all seine Fälle so eindeutig gewesen. Bisweilen hatte der Täter mehr Würde besessen als das Opfer, und trotzdem hatte Bert ihn überführen müssen. Es war nicht oft vorgekommen, doch jedes Mal war Bert anschließend in ein schwarzes Loch gefallen. Jedes Mal hatte er sich mühsam wieder aufrappeln müssen.
    »Ist Mina deshalb gegangen? Wegen ihres Vaters?«
    Ben hatte einen Lappen mit Öl getränkt und fuhr damit in langen Strichen über die Oberfläche eines kleinen Tischs aus Weichholz. Seine Bewegungen waren ruhig und kraftvoll.
    »Ja.«
    Kurz und bündig. Als gäbe es keine vorstellbare Alternative.
    »Hat sie mit Ihnen darüber gesprochen? Sich Ihnen anvertraut?«
    Ben erstarrte. Aber nur kurz. Dann schüttelte er den Kopf. »Nein. Sie war plötzlich einfach nicht mehr da.«
    »Aber so etwas geschieht doch nicht aus heiterem Himmel. Gab es keine Anzeichen? Hat niemand etwas geahnt?«
    Ben drehte den Lappen in den Händen. »Darüber denke ich die ganze Zeit nach«, sagte er so leise, dass Bert es kaum verstehen konnte. »Ob ich es nicht hätte spüren müssen.«
    »Vielleicht hat sie den Schritt nicht aus freien Stücken getan.« Es fiel Bert nicht leicht, die Qual des Jungen zu beobachten.
    »Es war eine Flucht.« Ben bearbeitete das Holz stärker. Sein Atem wurde schneller. »Sie hätte uns nie aus einem fadenscheinigen Grund verlassen.«
    »Aber bereitet man nicht auch eine Flucht vor?«
    Endlich richtete Ben sich auf und sah ihn an. Nicht in die Enge getrieben, sondern kalt und beherrscht. »Wenn Mina sie vorbereitet hätte, wäre sie nicht ohne mich gegangen. Niemals.«
    »Also muss etwas passiert sein, das sie veranlasst hat, Hals über Kopf wegzulaufen?«
    »Es gab immer wieder Zusammenstöße mit ihrem Vater.«
    »Aus welchem Grund?«
    Bens schmutzig glänzende Finger zupften und zerrten an dem Lappen, als wollten sie den schmierigen Stoff auseinanderreißen.
    »Aus jedem erdenklichen! Ihr Vater war ein strenger Mann, aber wirklich unnachgiebig in seinen Forderungen und Erwartungen war er nur bei Mina, Marlene und mir. Wir konnten ihm nichts recht machen. Immer wieder mussten wir bereuen. Immerzu wurden wir bestraft.«
    Am liebsten hätte Bert den Arm um die Schultern des Jungen gelegt. Und ihn in Frieden gelassen. Das alles war ihm nur zu vertraut. Angst zu haben. Von Schuldgefühlen erdrückt zu werden. Bestrafungen erdulden zu müssen. Aber er war gezwungen, noch einen Schritt weiterzugehen.
    »Trauen Sie Mina zu, ihren Vater …«
    Ben ließ ihn nicht zu Ende sprechen. »Nein!« Das Blut war aus seinem Gesicht gewichen. »Mina könnte keiner Fliege etwas zuleide tun.«
    »Und Sie?«
    Ben zerdrückte den Lappen, bis er fast in seiner großen Hand verschwand. »Glauben Sie nicht, dazu hätte ich in all den Jahren längst Gelegenheit gehabt?«
    Bert stand auf. Er trat ans Fenster und sah hinaus auf den regennassen Hof. Das Gewitter hatte

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