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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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Er schenkte Tee ein und war erleichtert darüber, dass seine Hände nicht zitterten.
    Es machte ihn fertig, ohne Mina zu sein. Sie gehörte zu seinem Leben. Ihr Verschwinden hatte alles auf den Kopf gestellt. Ohne sie war er wie amputiert. Er war dem Alltag ohne sie nicht gewachsen.
    Draußen platschte der Regen aufs Pflaster. Wind war aufgekommen und schüttelte die Korkenzieherweide, deren biegsame Zweige ihm kaum Widerstand entgegensetzten. Überraschend kühle Luft floss durch die großen gekippten Fenster.
    »Wie gut das tut.« Der Kommissar lächelte. »Gewitter reinigen tatsächlich die Luft, finden Sie nicht auch?«
    Ben hatte das Gefühl, dass der Kommissar nicht nur das Wetter meinte. Er schien nicht der Typ zu sein, der sich über Belanglosigkeiten ausließ.
    »Ich mag keine Gewitter«, antwortete er. »Als Kind hatte ich höllische Angst davor.«
    »Vor dem Donner oder dem Blitz?«
    Darüber hatte Ben noch nie nachgedacht. »Vor beidem wahrscheinlich.« Er liebte die Stille und die Dunkelheit. Kein Wunder, dass Gewitter ihm zuwider waren, selbst heute noch.
    Den Kommissar schienen Gewitter nicht zu irritieren. Entspannt nahm er einen Schluck Tee. »Erzählen Sie mir von Mina.«
    Ebenso gut hätte er Ben auffordern können, die Relativitätstheorie zu erläutern oder die gesamte Bibel in ein paar Sätzen zusammenzufassen. Was sollte Ben von Mina erzählen? Wo anfangen? Und wie?
    Mina ist nicht mehr hier.
    Das war der erste Satz, der ihm in den Kopf kam. Der einzig wichtige. Mina war nicht mehr da und alles hatte sich verändert. Doch das ging den Kommissar nichts an. Ben war in seinem Leben schon so oft mit Fragen traktiert worden, dass er mittlerweile allergisch dagegen war.
    »Was wollen Sie wissen?«
    Inzwischen fand er es geradezu lächerlich, mit einem Polizisten beim Tee zu sitzen. Er hätte nicht auf Marlene hören sollen. In keinem der Krimis, die er je gelesen hatte, war so eine Situation vorgekommen. Er würde seine Tasse nicht anrühren.
    »Sie sind zusammen aufgewachsen?«
    »Stimmt.«
    »Was ist mit Ihren Eltern?«
    »Die haben in meinem Leben keine große Rolle gespielt.«
    »In welcher Hinsicht?«
    »In den ersten Jahren habe ich noch bei ihnen gewohnt. Doch dann bin ich hiergeblieben.«
    »Wieso?«
    »Solche Fragen stellte man nicht, wenn Dietmar Kronmeyer Interesse an einem bekundete.«
    »Interesse?«
    »Er hat mich in sein Haus aufgenommen und gemeinsam mit Mina erzogen.«
    »Zu einem guten, gottesfürchtigen Menschen?«
    »Das war zumindest seine Absicht.«
    »Und? Ist es ihm gelungen?«
    »Er war nicht der Meinung. Er hielt uns für sündig und unvollkommen.«
    »Das waren seine Worte? Sündig und unvollkommen?«
    Ben nickte. »Es war nicht leicht, es ihm recht zu machen. Niemand hat das geschafft. Nicht mal Marlene.«
    »Und Dietmar Kronmeyer war vollkommen?«
    »Er war die Stimme und der Arm Gottes. Da muss er wohl annähernd vollkommen gewesen sein.«
    »Wie reagierte er auf Unvollkommenheit?«
    »Anfangs mit Geduld. Später mit Strenge.«
    »Wie sah diese Strenge aus?«
    »Grausam.« Ben hatte nicht vor, Dietmar zu schützen. Der konnte ihm nichts mehr tun. Und über kurz oder lang würde die Wahrheit über ihn sowieso ans Licht kommen.
    »Geht das ein bisschen genauer?«
    »Es gab besondere Zusammenkünfte. Gerichtsverhandlungen. Und dann Strafaktionen.«
    »Gerichtsverhandlungen?«
    »Intern. Nicht vor einem wirklichen Gericht. Es wurden jeweils ein Ankläger und ein Verteidiger gewählt. Der Richter war Dietmar.«
    »Hat es keinen Widerstand dagegen gegeben?«
    »Manchmal hat sich einer gewehrt, aber ohne Erfolg. Dietmar konnte das gut, Widerstand und Auflehnung glattbügeln.«
    »Anscheinend mochten Sie ihn nicht.«
    Ben sah dem Kommissar ins Gesicht. Trotzig legte er den Kopf in den Nacken. »Keiner hat ihn gemocht. Die meisten haben ihn gefürchtet. Und einige haben ihn gehasst.«
    »Und Sie?«
    »Ich?« Wie hartnäckig er war. Aber wahrscheinlich machte das einen guten Ermittler aus. Nicht nachzulassen, stetig weiterzubohren, bis er sein Ziel erreicht hatte. »Ich habe ihn lange Zeit geliebt, dann gefürchtet und schließlich ebenfalls gehasst.«
    Der Kommissar nickte. Als hätte er das erwartet. Vielleicht gehörte er zu den Menschen, die andern immer um einen Schritt voraus waren. Ben kannte solche Menschen. Sie bereiteten ihm Unbehagen.
    Er stand auf und ging zur Werkbank. Es gab noch so viel zu tun. Er hatte keine Zeit und keine Lust, vor allem aber keine Kraft mehr,

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