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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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nichts gesagt?« Sie fing an zu weinen. »Warum, Ben? Warum?«
    Er schüttelte ihre Hand ab. Die Qual auf seinem Gesicht erschreckte mich.
    »Ich habe sie beschützt«, sagte er heiser. »Vor ihrem Vater, vor deiner Feigheit und vor sich selbst. Doch das ist vorbei. Ich will ihren Namen nie mehr hören! Nie mehr! Hast du das begriffen?«
    Die letzten Worte hatte er ihr voller Wut entgegengeschleudert. Mit Frau Kronmeyer ging eine erschütternde Wandlung vor sich. Sie sackte förmlich in sich zusammen, zog den Kopf ein, kreuzte schützend die Arme vor der Brust und setzte sich still aufs Sofa.
    »Und jetzt raus!«, zischte Ben.
    An der Tür drehte ich mich noch einmal um. Frau Kronmeyer saß vollkommen reglos, ein verlorenes Lächeln auf dem Gesicht. Ich wusste jetzt, wie Mina sich in diesem Haus gefühlt haben musste. Am liebsten hätte ich geheult.
     
    Sobald das Summen ertönte, stieß Imke die Tür auf und suchte nach dem Lichtschalter. Mochten die Psychologen und die Briefkastentanten der Frauenzeitschriften auch hundertmal davor warnen, Kinder mit Fürsorglichkeit zu ersticken - das hier musste geklärt werden, und zwar nicht am Telefon, sondern im direkten Gespräch. Den ganzen Tag hatte sie gegrübelt, um schließlich alle Bedenken über Bord zu werfen, sich ins Auto zu setzen und loszufahren.
    Das Treppenhaus war eine Ohrfeige für jedes ästhetische Empfinden. Es roch nach gebratenem Fleisch, nassen Hundehaaren und Bohnerwachs. Das Licht flackerte und die Treppenstufen ächzten unter Imkes Schritten.
    Zu den eilig hingekritzelten Sprüchen an den Wänden waren seit Imkes letztem Besuch etliche zotige hinzugekommen. Die Blätter der auf den Fensterbänken vergessenen Pflanzen waren trocken und von Spinnmilben verklebt. Imke hatte sich daran gewöhnt, dass ihre Tochter jetzt hier zu Hause war, aber es gelang ihr nicht, dieser Umgebung Sympathie entgegenzubringen.
    Sei nicht so hochnäsig, sagte sie sich, wusste jedoch gleichzeitig, dass nicht Überheblichkeit sie so empfinden ließ. Sie hatte Angst um ihre Tochter, und dieser Ort war nicht gerade dafür geschaffen, ihr diese Angst zu nehmen. Jeder Beliebige konnte hier ein und aus gehen. Es gab keine Sicherheitsvorkehrungen, und die Mädchen waren alles andere als vorsichtig, das hatte sich ja gerade wieder herausgestellt.
    Wie zum Beweis dafür stand die Wohnungstür weit offen.
    »Mensch, Jette, wo bleibst du denn? Der Kommissar … Oh, ich dachte …« Merle blieb abrupt stehen, überrascht, verlegen, schuldbewusst.
    »Hallo, Merle.« Imke stellte ihre Tasche an der Garderobe ab. »Was ist mit dem Kommissar?«
    »Ich … äh …« Vor lauter Eifer, bloß nicht das Falsche zu äußern, fiel Merle überhaupt nichts ein. »Haben Sie Lust auf einen Kaffee? Oder einen Tee? Wir haben auch Saft. Oder Wasser. Oder …«
    »Ihr steckt also wieder mitten im Schlamassel.«
    »Das kann man so nicht sagen.« Merle bückte sich nach einer Staubfluse und zerrieb sie zwischen Daumen und Zeigefinger. Dann ging sie in die Küche und ließ sie ins Spülbecken fallen.
    »Nein? Und wie würdet ihr das nennen, wenn jemand ein Mädchen bei sich versteckt, das in einen Mordfall verwickelt ist, von der Polizei gesucht wird und dazu noch enorme psychische Probleme hat?«
    Die Klingel erlöste Merle. »Das wird Jette sein.« Sie lief in den Flur und drückte auf den Summer.
    Es war tatsächlich Jette, und sie schien nicht erfreut, ihre Mutter zu sehen.
    »Mama. Wieso hast du nicht angerufen?«
    Bevor Imke antworten konnte, öffnete sich die Tür zu Mikes Zimmer, und ein Mädchen kam heraus.
    »Mina«, sagte Jette, »das ist meine Mutter.«
    Imke hatte nicht vorgehabt, Gefallen an dem Mädchen zu finden. Alles in ihr war auf Abwehr eingestellt. Dieses Mädchen war eine Gefahr für Jette und Merle. Sie hatte sie bereits in ihre Schwierigkeiten hineingezogen und das war erst der Anfang. Imke war mit dem Vorsatz hierhergekommen, diese Geschichte im Keim zu ersticken, und nun stand sie Mina gegenüber und hatte den völlig absurden Wunsch, sie zu beschützen.
    »Hallo, Mina.«
    Das Lächeln des Mädchens war schüchtern und herzlich zugleich. Ihr Händedruck war fest und ihre Augen studierten aufmerksam Imkes Gesicht.
    »Hallo, Frau Thalheim.«
    Ihr war Imkes Existenz offenbar nicht verschwiegen worden, und das verletzte Imke mehr als die Tatsache, dass sie  von Mina nichts gewusst hatte.
    Es gab zwei Möglichkeiten. Imke konnte beleidigt sein oder sie konnte über ihren Schatten

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