Der Schichtleiter
ich ihm folge. So richtig glaube ich das gerade alles nicht. Das ist so – irre! Wieso werde ich das Gefühl einfach nicht los, dass Benny ganz genau weiß, wie Werner tickt? Vom ersten Tag an hat er sich nicht gegen den Körperkontakt gewehrt, nicht einmal das Gesicht verzogen oder einen Kommentar darüber abgelassen. Vielmehr hat er immer die Nähe vom Chef gesucht, wenn der angewatschelt kam. Dabei kann die Art sonst wirklich keiner vertragen. Wer bitte will schon ständig einen Schwitzarm um den Hals gelegt bekommen oder bei den Temperaturen unter eine nasse Axel geklemmt werden? Und jetzt scheint Benny ebenfalls ganz genau zu wissen, wie er sich zu verhalten hat.
„Was war das denn?“, frage ich entgeistert, als ich die paar Stufen zu ihm hinunterspringe.
„Was?“
„Na, kommt dir das nicht ein wenig komisch vor? Gerade noch …“ Mir fällt wieder ein, was wir eben getrieben haben. Im Angesicht der seltsamen Situation habe ich das vollkommen ausgeblendet. Jetzt wird mir mit einem Schlag bewusst, wie schräg es ist, überhaupt mit Benny über das alles zu reden.
„Vergiss es!“, sage ich, und bevor Benny etwas erwidern kann, füge ich drohend an: „Und halt’s Maul!“
12
Arbeit macht …
Zu Hause läuft alles so ab wie gestern. Mir ist schlecht, ich sage Gute Nacht und verzieh mich in mein Zimmer. Wenn ich die Nummer noch öfter abziehe, komme ich um ein ernstes Gespräch mit meinen Eltern wohl nicht herum. Aber ich kann mich jetzt auf keinen Fall mit denen beschäftigen. Mein Coming-out ist erst mal auf unbestimmt verschoben.
Mir ist wirklich schlecht. Was da heute auf der Arbeit abgegangen ist, geht mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Benny hat tatsächlich kaum was gesagt die ganzen restlichen Stunden. Irgendwie war das auch nicht gut. Nie lässt er mir nur eine ruhige Minute, ständig labert er Mist und macht mich an – und dann mit einem Mal Stille. Das hatte etwas von einer Horroratmosphäre. Man weiß genau, dass irgendwas nicht stimmt und plötzlich verhalten sich die Menschen um einen herum so seltsam … Gruselig.
Ich rufe Marco an und lasse so lange klingeln, bis die scheiß Mailbox rangeht. Ich spreche sogar drauf: „Hey, ähm – ich bin’s, Finn, vielleicht kennst du mich noch … Ach, vergiss es, ich bin nur … Ähm, ruf doch mal an bitte, okay?“
Eine Stunde später rufe ich erneut an, diesmal ohne Mailboxgelaber. Jetzt schäme ich mich für mein Gestotter vom ersten Anruf. Aber ich kann mich immerhin damit trösten, dass die Wahrscheinlichkeit ziemlich gering ist, dass Marco die Nachricht tatsächlich abhört.
Ich liege noch eine weitere Stunde auf meinem Bett herum. Damit ich etwas habe, woran ich mich festhalten kann, halte ich eins meiner Unibücher aufgeschlagen in den Händen. Gelesen habe ich bislang allerdings keinen einzigen Satz. Ich konzentriere mich voll und ganz auf diese wirren Gefühle in mir. Irgendwie komme ich mir fremd vor, hier bei meinen Eltern. Die gucken sich unten irgendeinen Mist im Fernsehen an. Ist schon komisch, wenn man merkt, dass man nicht mehr so richtig zu Hause ist, wo man eigentlich glaubt zu Hause zu sein. Das alles wäre jetzt viel leichter zu ertragen, wenn ich mit Marco zusammen sein könnte. Obwohl ich da auch ziemlich enttäuscht bin. Warum ruft der Arsch nicht zurück? Ach Mensch, das ganze Theater wäre gar nicht passiert, wenn ich sein Angebot angenommen hätte … Aber nach allem, was nun geschehen ist, habe ich das Gefühl, dass ich gar nicht mehr mit Marco zusammen sein kann. Ich will ihm nicht erklären, dass ich fremdgegangen bin, weil ich einfach blöd im Kopf war. Erst recht will ich nicht darüber nachdenken müssen, dass ich im Grunde sogar Spaß daran habe, dass die Sache nun so eskaliert ist. Das ist ein wenig, als ob ich es unbewusst so arrangiert hätte, um meinen inneren Trieben freien Lauf lassen zu können. Und doch kommt mir alles so unwirklich vor, dass ich gar nicht mehr so ein schlechtes Gewissen habe. Ein bisschen ist es, als ob ich von einem geilen Kerl geträumt hätte. Das ist mir auch immer etwas unangenehm, aber hey, es sind Träume, das kann passieren, das ist erlaubt. Das, was heute passiert ist, entzieht sich ebenso meiner Kontrolle und meinem realen Empfinden. Nur dass eben doch etwas davon an die Oberfläche dringt: das dumpfe Gefühl, dass zwischen mir und Marco etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist.
Ich lasse noch mal klingeln. Das darf doch echt nicht sein, dass Marco die ganze Zeit über
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