Der Schimmer des Ledger Kale
schob Sarah Jane in Richtung der Ranch-Tore und hoffte, dass sie diesmal wirklich gehen und für immer fortbleiben würde. Es war schon schlimm genug, dass diese Zeitungstante Fishs Braut zum Altar hatte schweben sehen; aber wer konnte wissen, welche Schimmer bei der Feier sonst noch losgelassen würden? Der Vater der Braut konnte wilde Tiere zähmen, wie ich gehört hatte. Und es fehlte mir gerade noch, dass diese präpubertäre Paparazzikönigin von Wyoming in die Scheune guckte und dort Löwen und Hirsche unter einer Discokugel Polonaise oder meine Eltern mit drei Bären Limbo tanzen sah.
Doch Sarah Jane rührte sich nicht vom Fleck. Sie blinzelte wortlos erst mich und dann das Glas an, während die Druckerpresse in ihrem Kopf weiter vor sich hin ratterte.
Da ich entschlossen war, meinen Besitz zu behaupten, schützte ich das Glas wie einen Football und sicherte es mit diesem Spezialgriff, den Dad mir beigebracht hatte, als er noch die Hoffnung gehabt hatte, sein Sohn würde eines Tages ein superguter Sportler werden.
»Ich gehe nur, wenn …«, begann Sarah Jane mit einem gefährlichen Funkeln in den Augen.
»Wenn was?«, fragte ich misstrauisch.
»Ich gehe nur, wenn du mir das Glas gibst.«
Wenn ich den Schimmer meines Großonkels Ferris gehabt hätte, schwöre ich bei Gott, dass mir Dampf aus den Ohren geschossen wäre.
»Vergiss es!«, rief ich. Ich änderte meinen Griff um das Glas und schwenkte es vor ihrer Nase herum. »Das ist bloß ein altes Glas, siehst du?« Ich unternahm einen lahmen Versuch, so zu tun, als wäre gar nichts Ungewöhnliches passiert. Aber ich hatte schweißnasse Handflächen und es war schwierig, das Glas richtig festzuhalten.
Das Mädchen kam einen Schritt auf mich zu und stieß seinen Finger in meine Brust. »Warum gibst du es mir dann nicht, wenn es doch bloß ein altes Glas ist? Erzähl mir wenigstens, wie es funktioniert.« Sarah Jane und ich standen uns Aug in Aug gegenüber, so nah, dass ich ihre Sommersprossen zählen und ihren Lippenbalsam mit Wassermelonenduft riechen konnte. Sie griff nach dem Glas, und wir zerrten beide daran. Aber als plötzlich ein blauer Funkenstrahl durch eine Öffnung im Dach der Scheune aufstieg, ließ ich los. Rocket war früh dran mit seinem Fingerspitzen-Feuerwerk.
Als Sarah Jane sich zu dem knisternden Strahl aus Elektrizität umwandte, packte ich sie bei den Schultern und drehte sie um hundertachtzig Grad, damit sie in die entgegengesetzte Richtung schaute. Ein zweiter Funkenstrahl drang aus den offenen Scheunentoren, und Sarah Jane versuchte erneut sich umzudrehen. Da mir nichts anderes einfiel, um sie abzulenken, hielt ich die Luft an, verzog das Gesicht und drückte meine Lippen so auf ihre, wie ich es oft in Filmen gesehen hatte.
Ich hatte noch nie zuvor ein Mädchen geküsst, und Josh, der Frauenschwarm, war gerade nicht da, um mir Tipps zu geben. Aber davon, dass Misty Archuleta ihm einen Stoß in die Rippen verpasst hätte, was Sarah Jane, ohne eine Sekunde zu zögern, tat, hatte Josh nie was erzählt.
»Bah! Igitt!« Sarah Jane streckte ihre Zunge raus und spuckte aus, während sie von mir wegwirbelte. »Was fällt dir denn ein, Cowboy?« Aber immerhin, mein Ablenkungsmanöver funktionierte: Sie hatte die Funken und die Scheune vergessen und stapfte davon, nachdem sie mir noch einmal kräftig eine gelangt hatte – wobei sie mich mit der Faust genau am Kinn traf und mich zu Fall brachte.
Die Hand am Kinn und immer noch den fruchtigen Geschmack ihres Lippenbalsams auf der Zunge blieb ich benommen und verwirrt auf dem Boden sitzen und blickte ihr nach, bis sie im Dämmerlicht verschwand. Erst als Sarah Jane nicht mehr zu sehen war, begriff ich, dass sie Oma Dollops Glas mitgenommen hatte.
6
Ich atmete tief durch und ignorierte meinen dröhnenden Puls, während ich mir einzureden versuchte, dass es Schlimmeres gab, als Sarah Jane Cabot im Besitz eines uralten Erdnussbutterglases zu wissen. Schließlich standen jetzt, in diesem Moment, Hunderte weiterer Einmachgläser in der Scheune. Die ganze Familie hatte ihre Andenken an Oma Dollop mitgebracht, und das nicht nur wegen der Hochzeit.
»Warum nehmen wir die mit?«, hatte ich Dad gefragt, als er unser Sortiment von Einmachgläsern ins Auto lud. Ich hatte ihm geholfen, die Kiste aus dem Keller hochzuholen, und dann beobachtet, wie Mom sie einzeln abstaubte und testete, wobei die Küche mal von Musik, mal von Nachrichten und mal von Radiosendungen aus alten Zeiten widerhallte.
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