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Der Schimmer des Ledger Kale

Der Schimmer des Ledger Kale

Titel: Der Schimmer des Ledger Kale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Law
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abgerissenen Erscheinung herab und verglich sie mit den ordentlich aufgereihten Auszeichnungen und Abzeichen an Wills makelloser, sauberer Armeeuniform. Ich bezweifelte, dass Will je einen Fehler begangen hatte, gedemütigt worden war oder auch nur einmal in seinem Leben das Falsche getan hatte. Aber er genoss ja auch den Luxus, normal zu sein.
    »Was machst du denn hier draußen?«, fragte ich ihn nach einer Pause.
    Überrascht registrierte ich, dass Will verlegen mit den Füßen scharrte und dabei seine blitzblank polierten Schuhe staubig machte.
    »Ich … äh, dachte, dass es vielleicht besser für mich ist, deiner Mom heute Abend aus dem Weg zu gehen. Wenn ich deiner Cousine einen Heiratsantrag mache, soll sie wissen, dass ich es tue, ohne dass ihre Tante Dinah mich dazu zwingt.«
    »Du willst Mibs einen Antrag machen?« Mein Magen befand sich einen Moment lang im freien Fall wie ein Wagen auf der Wildwasserbahn. Die Ameisen, die immer noch unter meiner Haut herumkrabbelten, fingen plötzlich auch noch an, mich zu zwicken. Ich kratzte mir die Handflächen und bohrte kräftig meine Fingernägel hinein. Und hörte gerade noch rechtzeitig wieder auf, bevor Blut kam. Wenn Mibs und Will heirateten, würden sie Omas Erdnussbutterglas brauchen, genauso wie Fish und Mellie. Großtante Jules hatte es vorhin selbst gesagt: Das Hochzeitsglas hatte bei uns eine lange Tradition.
    Die Übelkeit stieg mir vom Magen in die Kehle hoch.
    Ich hätte Sarah Jane nachlaufen sollen, dachte ich vor Angst zitternd. Ich hätte mir mehr Mühe geben müssen, das Glas zurückzubekommen.
    »Hey, Ledge! Frische Lieferung!«, riefen Marisol und Mesquite. Ich drehte mich um und sah, wie sich ein riesiges Stück Kuchen mit Zuckerguss in voller Fahrt durch die Menge zu mir durchschlängelte, und ignorierte es, als es vor mir in der Luft stehen blieb. Doch die Zwillinge waren hartnäckig. Der Tellerrand stieß gegen meine Schulter … einmal … zweimal … dreimal.
    »Isst du das jetzt oder nicht?«, fragte Will mit hochgezogenen Augenbrauen. Wenn Will nicht dort gestanden hätte, hätte ich den Teller womöglich genommen und wie eine Frisbeescheibe zu den Zwillingen zurückgeschleudert. Um nicht wie ein Idiot dazustehen, griff ich stattdessen danach. Aber meine Finger schlossen sich um Luft.
    Ich blickte zu Marisol und Mesquite und sah sie lachen. Innerhalb von Sekunden war der Teller wieder da. Stieß gegen meine Schulter. Und sorgte dafür, dass mein Blutdruck in die Höhe schnellte. Ich griff erneut danach, verfehlte ihn jedoch wieder, nur um ihn dann ein weiteres Mal auf mich zuschnellen zu sehen. Und zwar richtig schnell. Die Marmorkuchen-Kanonenkugel traf mich mitten vor die Brust, die Wucht des Schlags stieß mich rückwärts zu Boden und die Vorderseite meines ohnehin schon schmutzigen Hemdes war innerhalb kürzester Zeit von Krümeln und Glasur bedeckt.
    Das Kribbeln unter meiner Haut verstärkte sich. Ich wischte an der Glasur auf meinem Hemd herum und stieß einen lauten Schwall derber Flüche aus. Nachdem ich eine volle Minute so vor mich hin geschimpft hatte, blickte ich auf und stellte fest, dass der Rest der Welt viel zu still geworden war. Alle Gäste in der Scheune starrten durch die offenen Tore zu mir hin. Irgendjemand hatte die Musik abgedreht. Marisol und Mesquite standen vornübergebeugt da, hielten sich die Hände vor den Mund und drohten an ihrem lautlosen Gegiggel zu ersticken.
    Wütend und verlegen rappelte ich mich hoch. Doch als ich mich auf ein Knie stützte, wurde mir plötzlich schwindlig. Und da ich unmöglich aufstehen konnte, ohne meinen Magen zur Rebellion zu treiben, blieb ich unten.
    Irgendwas war im Gange.
    Das Prickeln, das in meinen Fingern und Handflächen begonnen hatte, ging auf Rücken und Brust über. Es brandete durch alle meine Glieder. Meine Zähne summten in meinem Schädel und vibrierten, als hätte ich sechs Limos und sieben Pfund saure Pommes in mich hineingestopft. Aber der Geschmack in meinem Mund war metallisch, nicht süß. Ich hätte am liebsten ausgespuckt.
    Ich fühlte mich wie der Junge auf dem Bild von Tante Jenny, der der stürmischen See trotzte. Nur dass mein Schimmer, als er diesmal losbrach, die Scheune mit der Zerstörungskraft einer Flutwelle traf.
    Klappstühle aus Metall zerfielen in ihre Einzelteile. Tische wackelten und brachen zusammen, wobei sich Porzellanscherben und Glassplitter im ganzen Raum verteilten. Die Tische mit den Radiogläsern knickten in einer

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