Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
ihm bei Dicte verdammt teuer zu stehen gekommen.
Es war auch nicht auszuschließen, dass sie es darauf anlegte, ihn zu täuschen. Vielleicht spielte sie die Resignation nur, damit er sich entspannte, sich Blößen gab, um dann plötzlich einen Fluchtversuch zu unternehmen. Dabei konnte sie gar nicht weglaufen. Was das anging, war sein Plan wirklich bis ins letzte Detail durchdacht.
Dieser Gedanke beruhigte ihn und gab ihm die Kraft, einen Moment innezuhalten und ruhig auf sie einzureden.
»Es wird Ihnen nichts passieren«, sagte er. »Das verspreche ich Ihnen. Passen Sie einfach genau auf und tun Sie exakt das, was ich sage.«
Vielleicht weinte sie. Vielleicht versuchte sie bloß, etwas zu sagen. Wieder tat sie ihm leid, und wieder versuchte er, dieses Gefühl zu verdrängen.
»Sie müssen mir helfen«, flüsterte Bergmann. »Mehr verlange ich nicht von Ihnen.«
13.
Nördlich von Kopenhagen, 22.34 Uhr
Kein Laut. Aber eine Vielfalt von Gerüchen. Verfall und Abgestandenheit, aber auch noch etwas anderes … Öl? Warum Öl? Niels ging in den Wintergarten. Alte Möbel. Er strich mit dem Finger über den Tisch. Eine solide Staubschicht hatte sich darauf abgelagert. Hier war es geschehen. Hier war Bergmanns Frau vor ein paar Jahren kaltblütig ermordet worden. Caspers Bericht hatte Niels’ Erinnerung geweckt. Die Tochter findet ihre Mutter, während diese noch um ihr Leben kämpft. Die Mutter versucht erst, in die Toilette zu gelangen, vielleicht um einen Verband für die Wunde zu finden. Mit einem Handtuch um den Hals will sie dann den Krankenwagen rufen. Das Kind schreit im Hintergrund. Die Aufnahme war im Präsidium abgespielt worden. Es war das Schlimmste, was Niels jemals gehört hatte. Die Verzweiflung, mit der die Mutter zu sagen versucht hatte, dass sie einen Rettungswagen braucht. Aber ihre Worte ertrinken. In Angst und Blut. Und dann hört man nur noch das Kind schreien. Mama . Wieder und wieder. Bis der Hörer zu Boden fällt. Die Aufnahme ist damit aber noch nicht zu Ende. Die Tochter weint weiter. Sie ist damals erst fünf Jahre alt.
Niels ging durch das Wohnzimmer. Erst in der Küche war zu erkennen, dass das Haus bewohnt war. Im Spülbecken waren Wassertropfen, und auf dem Tisch stand ein Pizzakarton. Dass die hier wohnen geblieben sind. In einem Mausoleum der Mutter. Die Küche führte ihn auf den Flur, wo eine Jacke auf einer Truhe lag. Darüber hingen Bilder der Familie. Der Tochter. Keine aktuellen Fotos. Nur Bilder aus der Zeit vor dem Tod der Mutter. Eine dreiköpfige Familie. Eine griechische Insel. Fröhliche Urlauber auf einer Felseninsel. Und eins aus dem verregneten Dänemark: Bergmann in Uniform. »Bereitschaftsarzt für Nord-Seeland« stand mit roten Buchstaben in der rechten unteren Ecke des Bildes. Bergmann sah stolz aus. Er stand vor einer Kolonne aus Militärfahrzeugen.
Niels hielt inne und versuchte ein Geräusch zu empfangen. Wo ging es in den Keller? Wenn nicht aus dem Flur, von wo aus dann? Er versuchte sich den Grundriss des Hauses vorzustellen. Hatte er eine Treppe übersehen? Vielleicht am anderen Ende? Zurück ins Wohnzimmer. Hier war sie gestorben – wenn er sich richtig erinnerte. Neben dem Telefon. Jetzt lag Staub auf dem Boden. Während Niels sich lautlos durch das Haus bewegte, dachte er an Bergmann. Den ordentlichen, so müde wirkenden Mann, den er in seiner Praxis angetroffen hatte. Alles war sauber. Aufgeräumt. Angenehm. Und hinter der Fassade lauerte der Mo rast. Ein Dschungel aus Vergangenheit, schweren Möbeln, un verarbeiteten Gefühlen, Ohnmacht, Rache – Einsamkeit.
Das Wohnzimmer, in dem ein Fernseher und zwei Sofas standen, führte ihn in ein Arbeitszimmer, von dem aus ein schmaler Gang zu einer Waschküche abzweigte. Und da war auch endlich die Tür zum Keller.
14.
Nördlich von Kopenhagen, 22.36 Uhr
Hannah hörte die Tür ins Schloss fallen, dann wurde der Schlüssel umgedreht.
Sonst hörte sie nichts. Abgesehen von ihren Atemzügen, hektisch und keuchend.
Denk nach, sagte sie sich. Denk, denk, denk! Es gibt immer eine Lösung. Du musst dich bloß konzentrieren und sie finden.
Aber die Panik war dabei, Oberhand zu gewinnen. Sie spürte, wie ihr Hirn vor Angst den Dienst einstellte. Sie war eingesperrt. Aber bestimmt würde er bald wieder da sein. Und auch wenn er beteuert hatte, ihr nichts zu tun, wusste sie, dass er log. Er würde sie umbringen. Und was noch schlimmer war, er würde auch ihre ungeborenen Kinder umbringen. Daran zweifelte sie
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