Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
ging, war die Zeit nebensächlich. Er überließ nichts dem Zufall. Die Flüssigkeit war eine isotonische 0,9-prozentige Salzlösung. Nahm er einfaches Trinkwas ser, drang Wasser in die Blutgefäße ein, und nahm er reines Salzwasser, entzog die Flüssigkeit dem Blut das Wasser. Beides würde die Wiederbelebung erschweren. Sie musste auf die richtige Weise sterben, die reine Weise. Musste so ertränkt werden, dass sie Zeit genug hatte, in den Tod zu reisen, Maria zu finden und mit ihr zu reden. Sie musste diese Grenze für ihn überschreiten. Hannah Lund hatte das schon einmal bemerkenswert lange geschafft. Sie war die Richtige, das wusste er.
Er goss das Wasser in eine kleine Wanne. Vier, fünf Zentimeter hoch, mehr war nicht nötig. Es hieß, man könne in einer Untertasse ertrinken. Sie lag auf dem Boden in einer etwas verdrehten Stellung, das Gesicht auf den kalten Beton gepresst. Vielleicht war sie gefallen. Als er sie ansah, empfand er plötzlich so etwas wie Liebe für sie. Dankbarkeit. Sie sollte ihm helfen. Sie war die Einzige, die das konnte. Nur sie konnte diesem Albtraum ein Ende bereiten, ihn aus der Dunkelheit ziehen und Silke retten. Hannah Lunds Tod würde nicht vergebens sein. Ganz sicher nicht. Sie gab ein leises Geräusch von sich, Angst oder Schmerzen, und dieses Geräusch versetzte ihm einen Stich. Sie sollte keine Angst haben. Sie sollte sich mit ihm freuen. Das Ganze machte ja Sinn. Schließ lich bekam ihr Leben jetzt einen ultimativen Sinn. Verstand sie nicht, dass sie ganz besondere Fähigkeiten hatte? Er öffnete die Tasche und nahm den Defibrillator heraus.
Dann zog er die Spritze mit dem Adrenalin auf. Bergmanns Hände zitterten so sehr, dass er es erst beim zweiten Versuch schaffte. Jetzt konnte er sich auf das Wesentliche konzentrieren: Hannah Lund musste ertrinken und ihre Reise auf die andere Seite antreten, ehe er sie zurückholte, wiederbelebte und die Antwort hörte.
Er wollte sie betäuben und erst unmittelbar vor dem Ertrinken wieder aufwecken – nur so lange, bis sie ihren Auftrag verstanden hatte. Es war einfach. Die meisten, auch Hannah selbst, berichteten von Begegnungen mit verstorbenen Familienmitglie dern. Sowohl aus der eigenen Familie als auch Familienmitglieder von jenen, die sich im Raum befanden. Es gab Fälle, in denen Ärzte Patienten wiederbelebt hatten, die ihnen dann anschließend von einer Begegnung mit der verstorbenen Mutter des Arztes erzählt hatten. Einige hatten sogar Nachrichten erhalten. Oft ging es um Liebe. Dass alles gut ist.
Er hörte ein Geräusch. Vielleicht drangen die Laute aber auch erst nach dem gewaltigen Stoß zu ihm, der ihn plötzlich und vollkommen unvorbereitet nach vorn gegen die Wand schleu derte. Er knallte mit dem Kopf gegen den Beton und spürte die Schmerzen, die durch Kopf und Nacken zitterten, sodass ihm für einen Augenblick schwarz vor Augen wurde. Und er hörte die Geräusche ihrer Schritte, als sie durch die Tür schlüpfte und über den Flur davonrannte.
17.
Nördlich von Kopenhagen, 22.40 Uhr
Niels hatte vor, sich in den Keller zu schleichen, er setzte noch immer auf das Überraschungsmoment, doch schon auf der ersten Stufe stieß sein Fuß gegen einen Messingbecher, der laut scheppernd über die Stufen nach unten polterte. Jetzt war Bergmann gewarnt. Niels stürmte deshalb die Treppe hinunter, rein ins Dunkel, wobei seine Hand frenetisch nach dem Lichtschalter suchte.
»Hannah!«, brüllte er.
Er schaltete sein Handy ein, um wenigstens etwas Licht zu bekommen. »Hannah?«, rief er noch einmal. Am Fuß der Treppe blieb er stehen und lauschte. Nichts. Dann sah er den Schalter hinter sich an der Wand. Ein uralter, schwarzer Drehschalter. Das Licht ließ aber auf sich warten – schließlich nahm eine Neonröhre flackernd ihren Dienst auf.
Niels war allein im Keller. Allein mit acht Jahren Qualen. Acht Jahren einer vergeblichen Jagd nach dem Mörder. Acht Jahren Tragödie. An den Wänden hingen drei große Tafeln, Seite an Seite, an die er die Bilder von Männern geheftet hatte. Mögliche Verdächtige. Kandidaten für den Mord an Bergmanns Frau. Das war Besessenheit. Niels trat näher. Las die Beschreibung unter dem Bild von einem der Männer. »Ole Lorentzen. Gymnasium. Hat kein Alibi. Hat im Spar eingekauft. Der gleiche Supermarkt. Können sie sich dort getroffen haben?« Unter einem anderen stand: »David Munch. Universität. Kein Alibi. Hat im ersten Semester vermutlich die gleichen Vorlesungen besucht.« Niels
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