Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
Stunde, die ich habe, darauf verwenden werde«, sagte Niels und hörte selbst, wie hohl dieses Versprechen klang.
»Warum sollten Sie ihn finden? Nachdem das schon die Besten der Kopenhagener Polizei über Jahre hinweg versucht haben. Ihr gesamter Bekanntenkreis ist befragt worden. Seit sie sieben war. Alle, mit denen sie jemals Kontakt hatte …«
»Aber das hier … das ist doch auch keine Lösung«, sagte Niels schroff.
»Doch, ich weiß, dass es möglich ist. Wir waren mit Dicte ganz dicht dran. Es gibt nur eine, die ihren Mörder gesehen hat, und das ist meine Frau. Ich hatte eigentlich schon aufgegeben … bis die beiden zu mir gekommen sind.« Bergmann stand auf. Das Gespräch hatte ihn ermüdet. Er begann Niels durch die Finger zu gleiten, sollte er ihn jemals festgehalten haben.
»Wer ist zu Ihnen gekommen?«
»Das war nicht meine Idee. Wenn nicht Dicte und ihre Freunde mit dem Tod experimentiert hätten und in meine Praxis gekommen wären, wäre ich ja gar nicht auf die Idee gekommen«, sagte Bergmann und lächelte beinahe unschuldig: »Ich hatte aufgegeben. Aber eines Tages kommt eine Primaballerina in meine Pra xis. Sie leidet unter extremen Schlafstörungen. Kaputten Nächten. Langsam entlocke ich ihr ihr Geheimnis. Dass sie schon mehrmals tot war und wiederbelebt worden ist.«
Aus seiner Gesäßtasche zog er ein Stück Papier hervor und entfaltete es. Niels erkannte die fehlende Seite aus Phaidon .
»Hören Sie selbst. Diese Zeilen hat Dicte unterstrichen: Sagst du nicht, dem Leben sei das Totsein entgegengesetzt?« Bergmann sah auf: »Das fragt Sokrates, und sein Schüler antwortet:
Das sage ich . «
Bergmann las weiter:
»Und dass beides auseinander entstehe?, fragt Sokrates.
Ja .
Aus dem Lebenden also was entsteht?
Das Tote, sprach er.
Und was aus dem Toten?, fragt Sokrates.
Notwendig, sprach er, muss man eingesteh’n: das Lebende.
Aus dem Gestorbenen also entsteht das Lebende und die Lebenden?
So zeigt es sich, sprach er. «
Niels fiel ihm ins Wort: »Ein toter Philosoph, Bergmann. Das sind keine Beweise. Sie sind Arzt!«
»Ja, ich bin Arzt. Aber Kollegen auf der ganzen Welt reden dar über. Das Bewusstsein lässt sich nicht auf diesen Körper begrenzen. Es gibt viel zu viele Beweise, die dagegensprechen. Jeden Tag werden Menschen wiederbelebt und erzählen Geschichten.« Bergmann wurde lauter: »Und ich höre meinen Patienten zu. Achte auf alles, was sie erlebt haben. Alles, was Dicte erlebt hat …«
Hannahs Stimme überraschte Niels. Sie klang unheimlich gefasst, als sie Bergmann antwortete. Als hätte sie die Reise akzeptiert, die sie unternehmen sollte. Ein Astronaut, festgeschnallt in seinem Cockpit, wenn die Triebwerke eingeschaltet sind. »Was hat sie erlebt?«, fragte Hannah.
»Das Gleiche wie du vermutlich.« Bergmann sah noch immer nur zu Niels. »Das Gleiche, was fast alle erzählen. Über das Netz, das um die Erde gespannt ist. Das Licht. Das Verschwinden der Grenzen zwischen Körper und Seele. Dass die Zeit als Begriff keine Bedeutung mehr hat. Und dass sie mit Menschen sprechen, die schon seit Langem tot sind. Menschen, die sie gekannt haben. Und manchmal auch solchen, die sie nicht gekannt haben. Angehörige von Menschen, die sich im selben Raum befinden.«
»Sie glauben, dass Ihre Frau hier im Raum ist?«, fragte Niels und konnte seinen Sarkasmus nicht kaschieren.
»Ich glaube das nicht, ich weiß es, ich habe das gelesen.«
»Sie haben das gelesen?« Niels schüttelte den Kopf.
»Es gibt zahlreiche Nahtodstudien. Durchgeführt unter UN -Regie. Anfangs dachte ich wie alle vernünftigen Menschen, dass das nur Hokuspokus ist. Bullshit«, sagte Bergmann und bewegte sich auf Hannah zu, bis er dicht neben ihr stand. Er sprach zu ihr wie ein Wissenschaftler zum anderen. Wie ein Forscher, der im Vertrauen sein Wissen teilen wollte: »Ich habe sogar mit dem Forschungsleiter in den USA telefoniert.«
»Bruce Greyson?«, sagte Hannah.
»Genau. Habe mich als der vorgestellt, der ich bin. Ein anerkannter europäischer Schlafforscher. Wir haben lange miteinander gesprochen. Mehrmals.«
»Und was hat er gesagt?«
»Es ist über jeden wissenschaftlichen Zweifel erhaben, dass es Dinge in unserem Bewusstsein gibt, von denen wir keine Ahnung haben. Oder besser gesagt von denen wir lieber nichts wissen wollen .«
Er redete jetzt schnell. Niels hörte den manischen Tonfall, ein Zeichen, dass das Hirn darum kämpfte, die irrationalen Gedanken zusammenzuhalten, die sein
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