Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
aus. Der Schlüssel für Bergmanns Zusammenarbeit war seine Trauer. Der Schlaf forscher musste wenigstens einen Teil davon loslassen, die Wut.
»Ihre Frau hatte einen Liebhaber, aber Sie wussten das nicht, oder?«
»Nein.«
»Sie haben sie geliebt.«
»Ja.«
»Und dann?« Niels sah ihn an. Er musste die Geschichte erzählen, sonst nützte es nichts.
Der Atem des Schlafforschers war schneller geworden, hek tischer, die Luft kam nicht mehr bis in seinen Bauch. In manchen Augenblicken gelang es Niels, nicht an Hannah zu denken und auch zu vergessen, dass seine Hände auf dem Rücken gefesselt waren und sie höchstwahrscheinlich nicht mehr lebend aus diesem Bunker kamen. Er war auf seine Arbeit konzentriert: musste jede Bewegung im Gesicht des Geiselnehmers registrie ren, seinen Atem, seine Pupillen, ob seine Hände zitterten oder ruhig waren, ob er Ausschlag am Hals bekam oder seine Nerven vibrierten. Solange es Anzeichen der Unruhe gab, konnte man verhandeln. Wurde der Atem ruhig, gaben die Hände jegliches Zittern auf und wurden die Augen müde, sollte man als Geiselunterhändler tunlichst das Weite suchen.
»Ihre Frau«, wiederholte Niels.
»Sie hatte einen, ja.«
»Ja, sie hatte einen Liebhaber.«
»Viele Menschen haben das im Laufe einer langen Ehe«, sagte Bergmann mechanisch. Ein Satz, den er mühsam erlernt hatte, um weiterleben zu können, um jeden Morgen aufzustehen und sich nicht am erstbesten Laternenpfahl zu erhängen.
»Jeder hat Probleme in einer langen Ehe«, stimmte Niels ihm aus vollem Herzen zu.
»Jeder«, wiederholte Bergmann.
Niels wünschte sich, Hannah etwas besser sehen zu können. Augenkontakt mit ihr zu haben.
»Aber nicht ihre Untreue ist das Problem?«
»Nein, er hat sie umgebracht.«
»Der Liebhaber.«
»Ja, sie kannte ihn. Hatte ihn in unser Haus gebeten. Meine Tochter …«
Er kam wieder ins Stocken. Schüttelte den Kopf. Es war viele Jahre her, dass er darüber gesprochen hatte. In der Zwischenzeit waren die Worte zu einer festen Masse verwachsen. Es konnte unangenehm werden, sie aufzubrechen. Das wusste niemand besser als Niels. Aber raus mussten sie. Die Niederlage ist nur bitter, wenn man sie schluckt . Ein Satz aus seiner Lehrzeit als Unterhändler. Gesagt hatte das irgendein General zu einem Politiker. Niels erinnerte sich nicht genau, aber Bergmann hatte seine Sorge geschluckt, seine Niederlage, seine unerfüllte Rache, und in seinem Inneren war das alles angeschwollen und hatte gewaltige Dimensionen angenommen.
»Ihre Tochter?«
»Hat geschlafen.«
Ein rascher Blick zu Hannah. Ein Tropfen fiel von ihrer Nasenspitze in das Wasserbecken unter ihrem Gesicht. Sie sieht ihr eigenes Spiegelbild auf dem Wasser, registrierte Niels auf einmal. Weinte sie? Oder war das Schweiß?
»Sie hat geschlafen, während …«
»Ihre Tochter hat geschlafen?«
»Ja, sie schlief. Nebenan, in ihrem Zimmer.«
Bergmann entglitten die Worte. Er schüttelte den Kopf.
»Ihre Frau und ihr Geliebter«, half Niels ihm. »Waren im Schlaf zimmer neben dem Zimmer Ihrer Tochter?«
»Es gab keinerlei Anzeichen für eine Vergewaltigung«, sagte Bergmann einstudiert, als läse er das aus dem Polizeibericht ab. Er blickte auf und sah Niels in die Augen.
»Sie kannten einander. Sie hatte ihn hereingebeten. Und zum Dank hat er ihr das Leben genommen. Mit einem einfachen Schnitt«, sagte Bergmann und zeigte ganz undramatisch und professionell, wie der Schnitt verlaufen war. Direkt durch die Halsschlagader.
»Präzise und effektiv. Wie man früher die Lämmer geschlachtet hat: ein kleiner Schnitt durch die Schlagader, nicht mehr und nicht weniger. Wer würde heute noch so etwas tun?«
»Ein sehr, sehr kranker Mensch«, antwortete Niels.
Der Schlafforscher schüttelte den Kopf. »Das reicht nicht, das ist nicht genug. Diese Untat darf man nicht einfach nur medi zinisch erklären. Das Treffen war geplant«, sagte er. »Meine Tochter hatte eine geringe Dosis Schlafmittel bekommen. Aufgelöst in Kakao. Damit sie nicht aufwachte, während sie zusammen wa ren. Aber sie ist aufgewacht. Oh, mein Gott«, sagte Bergmann, barg sein Gesicht in den Händen und schluchzte tonlos. Seine Schultern zuckten, als würde er in einem schlecht gefederten Auto sitzen. Niels sah zu Hannah und dem Wasser unter ihr.
»Bergmann. Wir können das so nicht lösen. Ich würde Ihnen gerne helfen, ihren Mörder zu finden.«
Der Arzt schüttelte den Kopf.
»Doch, hören Sie mir zu. Ich verspreche Ihnen, dass ich jede freie
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