Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
das so auffassen. Wenn sie davon Wind bekommen …«
Der Direktor mischte sich ein und hielt sein Handy hoch. »Freuen Sie sich, dass ich das auf lautlos gestellt habe. Seit wir hier sitzen, habe ich schon sechs Anrufe erhalten. Die hocken in den Startlöchern, um sich auf uns zu stürzen.«
Niels nickte. »Es gibt noch etwas anderes.«
Ein nervöser Blick vom Direktor zum Ballettmeister.
»Ihr Herz«, begann Niels. »Dicte van Hauen war allem An schein nach bereits tot und ist dann wiederbelebt worden.«
»Wiederbelebt?« Der Ballettmeister klang wirklich überrascht. »Haben Sie deshalb nach diesem Defibrillator gefragt? Sie glauben doch wohl nicht …«
Niels fuhr ihm ins Wort: »Nein, ich weiß es. Ich weiß, dass sie unmittelbar vor ihrem Tod wiederbelebt wurde.«
Es wurde still im Raum. Plötzlich war der Verkehr draußen auf dem Kongens Nytorv zu hören. Die Stimmen und hastigen Schritte auf dem Flur.
»Nur um sicher zu sein, dass ich Sie richtig verstanden habe«, sagte der Ballettmeister. »Wiederbelebt, also so, wie wenn sie tot gewesen wäre.«
»Nicht gewesen wäre. Sie war tot.«
Der Direktor stand auf und trat ans Fenster. Es sah aus wie eine Flucht. Niels räusperte sich und schob den Stuhl zurück.
»Dictes Eltern hatten nach eigener Aussage seit einem hal ben Jahr keinen Kontakt mehr zu ihrer Tochter. Deshalb liegt es auf der Hand, dass wir Sie fragen. Hatte Dicte einen Herzstillstand?«
Der Ballettmeister richtete sich auf. »Hier bei uns? Nie!«
»Und das können Sie mit Sicherheit sagen?«
Stille. Ballettmeister und Direktor wechselten Blicke. Langsam wurde ihnen klar, in welcher Situation sie sich befanden. Das war ein Verhör. Er schüttelte den Kopf.
»Sie stand unter Druck. Aber … nein. Von einem Herzstillstand weiß ich nichts.«
Niels ließ die Stille wieder für sich arbeiten, und schließlich fuhr der Ballettmeister fort: »Hören Sie, die Arbeit hier ist wirklich schwer, es ist hart, in einem Ballett zu tanzen. Das Königliche Theater stellt hohe Anforderungen. Hier bei uns muss man jeden Tag das Äußerste aus sich rausholen. Aber wir sind keine Bestien. Wir sind Menschen. Sollte hier jemand einen Herzstillstand haben …« Er schüttelte den Kopf.
Sommersted öffnete nach langer Zeit wieder den Mund: »Was dann? Was, wenn hier jemand einen Herzstillstand hat?«
Der Direktor antwortete sozusagen von Chef zu Chef: »Dann gelten natürlich die exakt gleichen Prozeduren wie auch überall sonst in diesem Land. Das ist doch klar. Und noch etwas. Die Theaterärzte schauen jeden Tag im Ballett vorbei. Es wird Blutdruck gemessen, gepflegt und massiert. Wenn Sie also denken, dass …«
»Wir denken überhaupt nichts«, sagte Sommersted ruhig. »Wir versuchen nur herauszufinden, warum eine hübsche, wohlhabende, weltberühmte junge Frau mitten in der Nacht von der Dybbølsbrücke in den Tod springt.«
Der Direktor des Königlichen Theaters schüttelte den Kopf und trat kaum merkbar einen Schritt nach hinten. Was auch immer dieser Fall beinhaltete, er wollte nichts damit zu tun haben. Sein Telefon vibrierte. Er sah fragend zu Sommersted und erntete ein Nicken. Das Gespräch war kurz: »Ja« war das Einzige, was der Direktor sagte, ehe er das Gespräch beendete und wieder zu Niels und Sommersted sah.
»Sie haben nach dem Defibrillator gefragt.«
»Ja?«, sagte Niels.
»Es sieht so aus, als wäre einer der beiden, die wir hier haben, verschwunden. Natürlich kann der irgendwie verlegt worden sein, aber …«
»Aber das wäre schon ein sehr merkwürdiger Zufall«, unterbrach Niels ihn und stand auf. Damit stand die Verbindung zwischen dem Königlichen Theater und Dictes Tod so gut wie fest. Aber so oder so würden die beiden Leiter, die vor ihm saßen, involviert werden. Zur Verantwortung gezogen werden. Mindestens teilweise. Und aus ihren panischen Blicken zu schließen, waren sie sich dieser Tatsache gerade bewusst geworden.
25.
Rigshospital, 13.15 Uhr
Der Staatsanwalt würde diesen Verhandlungstag verlieren. So war es. Das wusste Hannah, als sie auf der Liege Platz nahm.
Die Hände der Schwester auf ihrem Körper, auf ihrem Bauch und an ihrem Geschlecht gaben Hannah die Antwort auf eine Frage, die sie sich im letzten Monat immer wieder gestellt hatte: Es waren Niels’ Berührungen, die sie mit Abscheu erfüllten. Nicht die Berührung als solche. Es war nicht nur hormonell bedingt, sondern ein Gefühl, das explizit seine Hände in ihr wachriefen. Natürlich war es
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