Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
ist meine Ärztin, ja.«
»In der wievielten Woche sind Sie?«, fragte er und legte die Brille vor sich auf den Tisch.
»Zwei Monate, vielleicht etwas weniger. Ich weiß es nicht genau.«
»Sie hatten noch keinen Ultraschall?«
»Nein, noch nicht.«
»Waren Sie bei einer Hebamme?«
Hannah schüttelte den Kopf.
»Dann werden wir jetzt auf jeden Fall den Ultraschall machen«. Er nickte der Schwester zu, die den Apparat einzustellen begann, der hinter einem weißen Vorhang stand. Der Arzt sah auf den Bildschirm.
»Wann hatten Sie Ihre letzte Menstruation?«
»Die ist unregelmäßig.«
»Aber Sie waren schon einmal schwanger?«
»Ja, ich habe schon ein Kind geboren.«
»Und ist diese Schwangerschaft komplikationsfrei verlaufen?«
»Ja.«
»Sie hatten einen Kaiserschnitt?«
»Ja.«
»Warum?«
»Er lag verkehrt. Hat sich nicht gedreht.« Hannah wurde be wusst, dass sie flüsterte. Besonders das Wort »verkehrt« wollte einfach nicht laut über ihre Lippen kommen. Denn es war so zutreffend. Vermutlich war das das Wort, das Johannes’ kurzes Leben am besten von allen beschrieb. Er passte nicht in diese Welt. War das verkehrte Teilchen eines großen unüberschaubaren Puzzles. Genau wie sie sich selbst oft fühlte.
»War es eine gewünschte Schwangerschaft? Also die erste?«
Hannah zuckte mit den Schultern. Was sollte sie sagen? Ja und nein. Beide Antworten wären richtig gewesen. Sie wollte gerne ein Kind haben. Ein normales Kind. Ein Kind, das ihre Krankheit nicht erbte. Das ein gutes Leben bekam. Mit Niels? Ja. Und nein. Sie wusste es nicht.
»Darf ich fragen, warum Sie abtreiben wollen?«, fragte er auf eine Weise, die Hannah zu erkennen gab, dass dieser Zeuge von der Verteidigung aufgerufen worden war.
»Begründete Furcht vor der Weitergabe einer erblichen Krankheit.«
»Sie sehen ziemlich gesund und fit aus.«
Schweigen. Sie sahen einander an. Sie machte ihn etwas nervös, das spürte sie.
»Ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass der Eingriff mit einem gewissen Risiko verbunden ist.«
»Das ist eine Geburt auch, und vermutlich ist das Risiko dabei größer, oder?«
Er überhörte sie. »Und ich muss Ihnen sagen, dass der Eingriff Ihre Chancen, noch einmal schwanger zu werden, stark beeinträchtigen kann.«
»Warum sollte ich noch einmal schwanger werden wollen?«
»Ich muss Ihnen diese Dinge sagen. Das ist eine vorgeschriebene Pro zedur.«
Die Schwester mischte sich ein. »Sie müssen auch wissen, dass Ihnen ein sogenanntes Beratungsgespräch angeboten werden wird. In dem Sie nach allem fragen können. Wäre das vielleicht etwas für Sie?«
»Heute noch?«, fragte Hannah.
»Vielleicht kann Eva Sie noch dazwischenquetschen. Soll ich mich mal erkundigen?«
»Danke.«
Der Arzt sagte: »Wir müssen genau wissen, wie weit Sie sind. Und überprüfen, dass es keine Zysten gibt oder andere Dinge, die den Eingriff verkomplizieren könnten. Wenn wir hier fertig sind, bekommen Sie eine Tablette, die den Gebärmutterhals weicher macht. Wenn Sie die genommen haben, ist die Abtreibung sozusagen im Gang und kann nicht mehr gestoppt werden. Sie können dann morgen um zehn Uhr kommen und den Eingriff durchführen lassen.«
» Müssen wir diesen Ultraschall machen?«
»Ja.«
»Einspruch.«
Der Arzt und die Krankenschwester sahen sich überrascht an. Sie nickte. Es war der Staatsanwalt, der diesen Einspruch vorgebracht hatte. Ein Ultraschall würde unweigerlich ihre Mutter instinkte wachrufen. Und ihre rationalen Fähigkeiten schwächen.
»Wir müssen den Ultraschall machen, wenn Sie abtreiben wollen.«
Sie sagte nichts. Sah zur Krankenschwester hinüber, die sie lächelnd zu sich winkte.
»Es dauert nicht lang«, sagte die Schwester. »Sie können da hineingehen und Hose und Unterhose ablegen.« Sie zeigte auf eine Tür. »Und dann legen Sie sich da hin.« Sie zog ein Kondom über den Ultraschallkopf und schmierte Gel darauf.
Hannah saß einen Augenblick lang da, als hätte sie sie nicht verstanden. Das war wirklich der Tag der Verteidigung. Die lebenden Bilder eines Fötus würden direkt die Gefühle des Richters ansprechen. Auch wenn sie nicht mehr waren als ein Flimmern in Grautönen und man sich anstrengen musste, in den fast abstrakten Bildern das moderne Symbol aufkeimender Hoffnung zu sehen. Sie durfte auf keinen Fall auf diese Liege.
»Es dauert nicht lang«, sagte die Schwester wieder. »Wir müssen nur kurz überprüfen, dass alles so ist, wie es sein soll.«
24.
Das Königliche
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