Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
Theater, 13.05 Uhr
Mit Verbrechen ist es wie mit Unfällen – die meisten geschehen im Verborgenen. Und das Königliche Theater war Dictes Zuhause, dachte Niels und setzte sich neben Sommersted auf den leeren Stuhl. Es folgte betretene Stille, in der Niels wahrnahm, wie unangenehm die Situation für den Direktor war. Seine Hände waren beständig in Bewegung. Sommersted schlug die Beine übereinander und signalisierte damit, dass er Zeit hatte. Der Direktor musste plötzlich sein Handy checken, während der Ballettmeister sich räusperte. Er hatte rote Flecken am Hals. Gut, lassen wir sie ein bisschen schmoren, dachte Niels. Sie dürfen ruhig wissen, dass wir den Raum nicht eher verlassen werden, bis wir ihnen die Wahrheit entlockt haben. Die Temperatur in dem kleinen Büro lag sicher über 25 Grad. Sommersted machte die unangenehme Stille nichts aus. Im Gegenteil. Er hatte eine Vergangenheit als Ermittler und Verhörleiter, und ihm eilte der Ruf voraus, auch die härtesten Kriminellen beim Verhör weichkochen zu können. Sommersted war in seinem Element.
»Womit fangen wir an?«, fragte er und sah zu seinem Kol legen.
Niels sollte diese Show hier leiten, das war der Plan. Er war der Böse. Und Sommersted würde seine Hilfe anbieten, wenn sie mürbe waren. »Dicte van Hauen war vor ihrem Tod anderthalb Tage verschwunden. Ist das richtig? Sie hatten also seit dem Nachmittag des 11. Juni keinen Kontakt mehr zu ihr?«
Der Direktor richtete seinen Blick auf den Ballettmeister. Ihm schien das offensichtlich neu zu sein.
Der Ballettmeister rieb sich den Hals. »Das stimmt. Sie ist vorgestern gegen 16 Uhr gegangen und abends nicht zur Probe erschienen, ohne sich zu entschuldigen.«
»Ist das nicht sehr ungewöhnlich?«, fragte Niels.
»Das ist so wenige Tage vor einer Premiere vollkommen unerhört«, bestätigte der Ballettmeister mit einem Nicken. »Wir haben selbstverständlich versucht, sie zu erreichen, wir waren sogar ein paarmal bei ihr zu Hause.«
»Wer war da?«
»Lea. Eine der anderen Tänzerinnen. Sie wohnt nicht weit von ihr entfernt. Das ist übrigens die, die jetzt Dictes Part in Giselle übernehmen wird.«
»Und was hat sie gesagt?«
»Nichts.«
»Ihr ist nichts aufgefallen?«
»Nein, es war niemand zu Hause.«
»Haben Sie eine Idee, was sie in dieser Zeit gemacht haben kann?«
»Nein.«
»Wer kann mit ihr zusammen gewesen sein?«
Der Ballettmeister schüttelte den Kopf.
»Hat sie vielleicht jemanden angerufen?«
»Wie gesagt: Wir wissen nichts.«
Sommersted rutschte auf seinem Stuhl etwas nach vorn und ergriff das Wort.
»Etwas ganz anderes: Der Rechtsmediziner hat in Dicte van Hauens Blut ein paar Substanzen gefunden. Verbotene Substanzen, unter anderem Ketamin, womit man Pferde betäubt. Aber auch Kokain, Amphetamin, Ritalin. Wir haben es also weiß Gott nicht mit Baldrian und Vitamintabletten zu tun.«
Der Direktor räusperte sich und sah zum Ballettmeister. Wollte ihn zwingen, auf diese Frage zu antworten. Mit Erfolg.
»Was soll ich dazu sagen? Wir können ja nicht ständig alle Mit arbeiter kontrollieren.«
»Sie wussten von diesem Drogenmissbrauch nichts?«
»Hier arbeiten ziemlich viele Leute«, sagte der Ballettmeister. »Wir haben fast hundert Tänzer im Ensemble, aus einer ganzen Reihe von Ländern.« Der Ballettmeister starrte auf einen un definierbaren Punkt zwischen Niels und Sommersted.
Der Direktor meldete sich zu Wort. »Wir sollten aufpassen, keine vorschnellen Schlüsse zu ziehen.«
»Zum Beispiel?«
»Man kann Ballett sehr gut mit Leistungssport vergleichen. Für den Körper ist das eine wahnsinnige Belastung. Unsere Tänzer müssen jeden Tag Höchstleistungen vollbringen. Es gibt keine Wochenenden, keine Feiertage, keine Freizeit. Ich habe selbst ge tanzt, ich kenne den Druck. Wir werden der Sache natürlich nachgehen, und ich räume gerne ein, dass wir bereits im letzten Jahr mit einer Untersuchung begonnen haben, um herauszu finden, in welchem Maße leistungssteigernde Mittel eingenommen werden. Die Resultate sollten in diesem Herbst vorliegen. Außerdem möchte ich Sie daran erinnern, dass 2005 ein Bericht des RUC über das allgemeine Klima der künstlerischen Aus bildung hier in Dänemark erstellt worden ist, und dabei lag die Ballettschule nicht schlechter als die Filmhochschule oder die Autorenwerkstatt. Es wäre also falsch zu sagen, dass wir nichts unternehmen.«
»Hat das denn irgendjemand gesagt?«, fragte Sommersted.
»Nun, die Journalisten werden
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