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Der schlafende Engel

Der schlafende Engel

Titel: Der schlafende Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mia James
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lang hatte sie geglaubt, sie hätte den Verstand verloren. Was natürlich absolut lächerlich war. April wusste sicher, dass Vampire, jene legendären, den Tiefen der menschlichen Fantasie entsprungenen Kreaturen, tatsächlich existierten: Sie saßen neben ihr in der Schule, standen in der Schlange in der Cafeteria oder im Americanos hinter ihr und bestellten Möhrenkuchen. Wissenschaftler mochten ihre Existenz noch nicht beweisen können, aber für April waren die Vampire keineswegs übernatürliche Wesen, sondern schlicht und ergreifend menschliche Wesen, wenn auch jeglicher Menschlichkeit beraubt. Der Grabpfleger hingegen schien einer anderen Gattung anzugehören; einer, die sie weder sehen noch hören noch verstehen konnte. Beweise hatte sie keine; er konnte ebenso gut nur ein alter Mann sein, der über den Zaun kletterte. Nicht dass er schweben würde oder etwas in dieser Art, aber irgendetwas an ihm … stimmte nicht.
    »Auf diesem Friedhof gehen Dinge vor, die ich nicht erklären kann«, fuhr Mr Gordon fort. »Weder als moderner, rationaler Mann noch als Geistlicher. Deinen Grabpfleger habe ich nicht gesehen, dafür aber einige Menschen oder ›Dinge‹, wie du es ausdrückst, die eigentlich nicht existieren sollten.« Er lächelte sie an. »Schon witzig, das Ganze, schließlich ist das Unsichtbare gewissermaßen mein Job, oder? Die Kirche verlangt von den Leuten doch ständig, an Unbegreifliches wie Wunder zu glauben und sich in die Hände eines Gottes zu begeben, den sie weder sehen noch in den meisten Fällen verstehen können. Trotzdem kriege ich es jedes Mal mit der Angst, wenn ich mit etwas Derartigem zu tun habe.«
    April musste lachen. Es tat so gut zu hören, dass selbst ein Pfarrer genauso empfand wie sie.
    »Und was geht auf diesem Friedhof Ihrer Meinung nach vor?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Das weiß ich nicht, aber fest steht, dass in Highgate etwas nicht stimmt. Irgendetwas ist hier, etwas Dunkles.«
    »Etwas Dunkles?«, wiederholte April und musste wieder an die Worte an der Wand im Schulgebäude denken.
    »Es ist nur so eine Ahnung, April, aber mir ist aufgefallen, dass sich in den letzten Monaten hier irgendetwas ausgebreitet hat.«
    »Seit ich hier lebe, meinen Sie?«
    Der Pfarrer holte tief Luft.
    »Wenn ich ganz ehrlich sein soll, ja, April. Ich glaube, dass es tatsächlich etwas mit dir und deiner Familie zu tun hat. Dein Dad hatte eine Theorie, dass irgendwo im Untergrund etwas Böses existiert, das sich nun aus den Gräbern erhebt und sich auszubreiten beginnt. Ich habe keine Ahnung, ob er damit recht hatte, aber inzwischen ist zu viel passiert, um leugnen zu können, dass es etwas mit dir und deiner Familie zu tun hat.«
    Kurz überlegte sie, ob sie ihm alles erzählen sollte – dass sie die Furie war, von ihrer Liebe zu einem Vampir und der Tatsache, dass sie in eine Art heiligen Krieg zwischen den Untoten und – ja, wem eigentlich? – verstrickt war. Unvermittelt wurde ihr bewusst, dass sie keine Ahnung hatte, für wen sie eigentlich kämpfte. Doch sie war sich schmerzlich dessen bewusst, dass jeder, dem sie sich in den vergangenen Monaten anvertraut hatte, entweder tot oder in große Gefahr geraten war. Mr Gordon war ein netter Mann, und sie wollte auf keinen Fall, dass ihm etwas zustieß.
    »Was soll ich tun? Wie kann ich diese Dunkelheit aufhalten?«
    »Kämpfe, April. Ich bin sicher, mein Bischof bekäme einen Tobsuchtsanfall, wenn er hören würde, dass ich dir so einen Rat gebe. Aber ich sehe keine Alternative. Manchmal muss man sich eben für eine Seite entscheiden.«
    »Was ist mit der Idee, die andere Wange hinzuhalten?«
    »Was willst du tun, wenn der andere sie dir wegreißt? Ich kann dir nicht sagen, was du tun sollst, aber wäre ich an deiner Stelle, würde ich den Kampf gegen sie aufnehmen.«
    Ein Lächeln spielte um seine Lippen.
    »Tritt ihnen in die Eier, April. Genau das hätte Jesus jedenfalls getan.«
    April brach in Gelächter aus, in das der Pfarrer einfiel.
    »Entschuldigung, das hätte ich nicht sagen dürfen. Das Lamm Gottes hätte sich natürlich für eine friedlichere Lösung entschieden, aber Jesus selbst hat nicht vor Gewalt zurückgeschreckt, wenn ihm etwas wichtig war. Denk nur an die umgeworfenen Tische der Geldwechsler im Tempel oder an Thomas, den Jesus aufgefordert hat, den Finger in seine Wunde zu legen, als er an seiner Auferstehung zweifelte.«
    April runzelte die Stirn. Offenbar hatte sie im Religionsunterricht nicht sonderlich gut

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