Der schlaue Urfin und seine Holzsoldaten
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EIN SELTSAMER BRIEF
Es war fast ein Jahr vergangen, seit Elli das Wunderland verlassen hatte, das durch eine
Kette riesiger Berge und eine große Wüste von der übrigen Welt geschieden war. Sie lebte
jetzt wieder bei ihren Ettern in Kansas, das sich nicht verändert hatte: Steppe ringsum,
Weizenfelder und staubige Wege. Nur der Wohnwagen, mit dem Elli und Totoschka durch
den Sturm in das Wunderland verschlagen worden waren, stand nicht mehr da. An seiner
Stelle hatte der Farmer John ein Häuschen gebaut, in dem er jetzt mit seiner Frau Anna und
seinem Töchterehen Elli wohnte.
An einem Sommerabend näherte sich ein müder Wanderer der Farm. Der Mann war in
mittleren Jahren, breitschultrig, kräftig gebaut und trug einen Rucksack. Ein Holzbein, an
das linke Knie geschnallt, hinterließ runde Spuren im Straßenstaub.
Der Mann hatte den wiegenden Gang eines Matrosen, der über das schwankende Deck
eines Schiffes schreitet. Die weit auseinanderstehenden grauen Augen in dem gebräunten
Gesicht blickten gleichsam auf das weite Meer hinaus.
Totoschka sprang bellend den Ankömmling an und wollte ihn ins Holzbein beißen. Auf
das Gebell hin wandte sich Frau Anna, die gerade die Hühner fütterte, um und lief mit
einem Schrei auf den Mann zu.
„Charlie, mein Bruder”, schluchzte sie und fiel ihm weinend um den Hals. „Du lebst!”
„Natürlich lebe ich, wo ich doch wieder da bin”, sagte Charlie Black, seine Schwester
umarmend.
„Dein Kapitän hat uns vor fünf Jahren geschrieben, Menschenfresser hätten dich auf der
Insel Kuru-Kusu gefangen!”
Elli. die vor der Tür stand, erbebte, als sie diese Worte hörte, denn sie wußte ja, was
Menschenfresser sind. Aber warum hatte die Mutter ihr niemals von einem Onkel Charlie
erzählt, dem Seemann, der Menschenf ressern in die Hände gefallen war?
Bald sollte ihr aber alles klarwerden.
„Elli”, rief die Mutter, „komm, sag Onkel Charlie guten Tag.”
Elli ging auf den Onkel zu und reichte ihm die Hand, doch dieser nahm das Mädelchen in
die Arme und küßte es.
„Erinnerst du dich noch an mich, Kindchen?” fragte er.
„Aber was red ich, du warst ja erst drei Jahre alt, als ich zum letzten Mal bei euch war. Die
Mutter hat dir sicherlich von mir erzählt, nicht wahr?”
Elli schaute die Mutter an und wußte nicht, was sie sagen sollte.
Verwirrt gestand Frau Anna:
„Verzeih, lieber Bruder. Als wir den Brief von deinem Kapitän erhielten, war Elli erst fünf,
und da beschlossen John und ich, dem Kind die schreckliche Nachricht nicht mitzuteilen.
Jahre vergingen. Elli fragte immer seltener nach dir … und dann hatte sie ihren Onkel
Charlie ganz vergessen.”
Anna senkte schuldbewußt die Augen.
Charlie war ihr jedoch nicht böse.
„Na, wenn schon. Eigentlich habt ihr das richtig gemacht, wo ich doch lebe! Na, was
meinst du, Elli, wollen wir gute Freunde sein?”
„Aber klar, Onkel Charlie”, rief das Mädchen erfreut. „Und wie bist du mit den
Menschenfressern fertig geworden? Hast dich mit ihnen geschlagen und sie besiegt, ja?”
„Nein, liebes Kind, so war es nicht”, lachte Charlie. „Ich hätte die Menschenfresser
niemals besiegt, denn es waren viele Tausende. Aber sie zeigten sich als prächtige Kerle,
diese Menschenfresser. Ich bewies ihnen, daß ich ihnen lebend mehr nützen würde, als
wenn sie mich über dem Feuer rösteten, und so ließen sie mich gerne am Leben.”
„Wieso, Onkel, kennst du die Menschenfressersprache?” wunderte sich Elli.
„Ich will’s dir erklären, meine Liebe”, lächelte der Seemann. „Wo der gute Wille
vorhanden ist, kann man sich immer verständigen. Die Inselbewohner nahmen mich in den
Stamm der Kuru-Kusu auf, und ich zeigte ihnen fünf neue Arten der Zubereitung von
Fischgerichten, außerdem fand ich auf der Insel neun neue Sorten von eßbaren Pflanzen …
Als vier Jahre vergangen waren, gaben sie mir ein Boot mit Proviant und mehreren
Fäßchen Trinkwasser und begleiteten mich ein gutes Stück aufs Meer hinaus. Beim
Abschied empfahlen sie mich dem Schutz ihrer zahlreichen Götter. Wahrscheinlich bin ich
aus diesem Grunde erst nach 42 Tagen endlich einem Schiff begegnet … Und so bin ich
jetzt bei euch … Aber da kommt ja John!”
John hatte von den Nachbarn auf dem Feld erfahren, daß ein Unbekannter da war, hatte
sich sogleich auf sein Pferd geschwungen und kam nun im Galopp angeritten. Er freute
sich sehr, als er seinen Schwager Charlie Black erblickte.
Die beiden
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