Der schlaue Urfin und seine Holzsoldaten
Erlebnissen.
Der Seemann hatte natürlich viel zu berichten. Er war mit 10 Jahren Schiffsjunge
geworden, hatte in den Polargewässern mit Eisbären gekämpft und im Urwald der Insel
Kuru-Kusu auf Nashörner Jagd gemacht, aber, das mußte er zugeben, noch nie hatte er von
den schrecklichen Säbelzahntigern gehört, vor denen Elli nur dank der Geistesgegenwart
und der Treue ihrer Freunde gerettet worden war. Charlie hatte auch keine Ahnung, daß es
auf der Welt Ungeheuer mit mächtigen Schwingen gab, die Fliegende Affen genannt
wurden.
Onkel Charlie war ein sehr interessanter Mensch, der sich auf alles verstand und, wie man
sagt, goldene Hände hatte. Elli konnte sich über den Inhalt seiner Taschen gar nicht genug
wundern. Was kam da nicht alles zum Vorschein! Es schien, als ob die Taschen seiner
Jacke und seiner breiten Hosen jedes Werkzeug beherbergten, das man sich denken konnte.
Sein riesiges Federmesser hatte zahllose Klingen für die verschiedensten Zwecke, eine
Ahle, einen Bohrer, einen Schraubenzieher, eine Schere und noch vieles andere.
Wenn nötig, entnahm Onkel Charlie seinen Taschen Rollen dünnen, festen Bindfadens,
Schrauben und Nägel, Meißel und Feilen … Manchmal schien es Elli fast, als verstehe sich
ihr Onkel ein bißchen aufs Zaubern, daß er durch Zauberkunst die Sachen in seinen
Taschen entstehen ließ, die er gerade brauchte.
Und was bastelte Onkel Charlie in seiner Freizeit nicht alles für Elli! Aus Abfällen von
Brettern, Sperrholz- und Blechtafeln konnte er Wasser- und Windmühlen, Wetterhähne
oder Karren bauen, die von selbstgefertigten Federn angetrieben wurden …
Einmal stellte er zur freudigen Überraschung seiner Schwester eine mechanische
Vogelscheuche in den Garten, die im Wind mit Armen und Beinen fuchtelte und
entsetzlich heulte.
Aber schon nach zwei Tagen bat Frau Anna ihren Bruder, die Scheuche wieder stumm zu
machen.
„Lieber weniger Gurken, dafür mehr Ruhe”, sagte sie.
Wegen des entsetzlichen Geheuls, das die Vogelscheuche anstimmte, konnte niemand im
Haus schlafen, und alle atmeten erleichtert auf, als sie endlich verstummte.
Bei Sonnenuntergang, wenn das geschäftige Treiben auf der Farm aufhörte und Elli mit
ihren Hausaufgaben fertig war, nahm Onkel Charlie sie gewöhnlich zu einem Spaziergang
in die Steppe mit.
Der Staub, den die Wagen tagsüber auf den Straßen aufgewirbelt hatten, setzte sich, man
konnte weithin in die Ferne blicken, und die Schatten wurden immer länger.
Elli und ihr Onkel gingen, von Totoschka begleitet, langsam durch das weiche Gras am
Straßenrand und sprachen über allerlei Dinge.
Bei einem dieser Abendspaziergänge ereignete sich etwas, was den Beginn eines neuen
wunderbaren Abenteuers unserer Freunde bilden sollte.
Die Sonne war bereits untergegangen, es war aber noch ziemlich hell, als das Mädelchen
plötzlich eine große struppige Krähe erblickte, die mit zornigem Geschrei umherflatterte,
aufflog und niederging und allem Anschein nach zu Elli wollte.
Hinter dem Vogel lief ein rothaariger zerzauster Junge her, Jimmy von der Nachbarfarm,
der schon viele Spatzen, Dohlen und Kaninchen getötet hatte. Er warf mit Erdklumpen
nach der Krähe, konnte sie aber nicht treffen.
Totoschka wollte schon die Krähe schnappen, doch diese kam mit letzter Kraft noch
einmal hoch und flog Elli direkt in die Arme. Das Mädchen umfing den vor Schmerz und
Angst bebenden Vogel und fuhr den rothaarigen Jimmy an:
„Mach, daß du fortkommst, böser Junge!”
„Gib mir meine Krähe zurück”, plärrte Jimmy, „das ist meine Beute, du siehst doch, ich
hab sie am Flügel getroffen.”
„Scher dich fort, oder es setzt was!”
Jimmy machte kehrt und ging, leise Drohungen vor sich hin murmelnd, nach Hause. Er
wagte es nicht, in Onkel Charlies Anwesenheit mit Elli anzubändeln.
„Du Ärmste!” sagte Elli und streichelte den gespreizten Flügel der Krähe. „Tut es sehr
weh?”
„Kaggi-Karr !” krächzte der Vogel, der sich etwas beruhigt zu haben schien.
„Hab keine Angst, der böse Junge soll dich nicht bekommen”, fuhr Elli fort, ,,ich werde
deinen Flügel heilen, und du wirst wieder frei fliegen können.”
Da entdeckte Elli ein Blatt, das um das Bein des Vogels gewickelt war.
Geschickt löste sie den Faden, und als sie das Blatt entfaltete, überkam sie eine dumpfe
Unruhe.
„Onkel Charlie, schau nur!” rief sie aus.
Die beiden betrachteten im letzten Licht des Vages das Blatt und sahen eine eingekratzte
Zeichnung. Sie
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