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Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur

Titel: Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samia Shariff
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doch es ist wirklich nicht so leicht, hier eine Unterkunft für fünf Kinder zu finden, wie Sie sich das offenbar vorgestellt haben. Es ist sogar fraglich, ob Sie in einem Jahr eine feste Bleibe haben werden. Sie werden noch viele schmerzliche Momente erleben, und es wird Sie viel Kraft kosten. Vorläufig wird man Sie in Unterkünften oder Hotels unterbringen, die für Kinder geeignet sind. Einen schönen Tag und bis heute Abend!«
    Die französische Realität holte mich brutal ein. Für die nächsten Wochen und Monate war nichts Gutes zu erwarten, und ich musste mich mit Geduld wappnen. Mehr als ein Jahr! Wie sollten wir das durchstehen? Ich flüchtete auf die Toilette, um unbeobachtet zu weinen.
    Nachdem ich den ersten Schock verdaut hatte, ging ich zu meinen Kindern zurück und zog den Kleinen Schuhe und Jacken an. In meinen Rucksack packte ich die große Wasserflasche, das Brot und die Kekse, die Rachid mir für die Kinder gegeben hatte, und natürlich Windeln für das Baby.
    Wieder mussten wir einen Tag in den Straßen von Paris verbringen. Ziellos irrten wir umher, ohne einen Platz für den Mittagsschlaf der Kleinen zu haben. Mit unseren täglichen Sorgen – schmerzende Füße, weinende Kinder, Hunger und Durst – unterschieden wir uns grundlegend von den Touristen, die durch die Straßen flanierten. Im Gegensatz zu ihnen hatten wir kein Auge für die Schönheiten der Stadt. Es ist wahrhaftig kein Zuckerschlecken, mit drei kleinen Kindern Tag für Tag und bei jedem Wetter durch Paris zu streunen! Dank der Hilfe meiner beiden Töchter war es aber möglich, die Bedürfnisse der Jungen einigermaßen zu befriedigen.
    Eines Abends vor dem Schlafengehen fing Ryan an zuhusten. Er hatte hohes Fieber und wirkte apathisch. Um zwei Uhr morgens rief Rachid den Rettungswagen. Nach einer kurzen Untersuchung nahmen die Krankenpfleger uns mit in die Ambulanz.
    Ryan phantasierte, denn sein Fieber war ständig weiter gestiegen. Im Behandlungszimmer fragte der Arzt nach unserer Krankenversicherung. Als er hörte, dass wir keine hatten, versicherte er, dass er trotzdem kein krankes Kind wegschicken würde, ohne es angemessen zu versorgen. Allerdings musste ich ihm unsere Adresse hinterlassen. Nachdem der Arzt meinen Sohn untersucht hatte, gab er mir fiebersenkende Medikamente und erklärte:
    »Ihr Kind muss im Warmen bleiben, am besten nur in T-Shirt und Unterhose. Er muss sich ausruhen und darf auf keinen Fall in die Kälte hinaus.«
    Ich erläuterte ihm die Vorschriften in unserer Unterkunft.
    »Sie bekommen von mir einen Brief mit klaren Anweisungen, was Ihr Kind benötigt. Geben Sie ihn dem Leiter der Einrichtung.«
    Nach der Untersuchung musste ich mit Ryan zu unserer Unterkunft zurückkehren, doch ich hatte kein Geld. Also rief ich Rachid an. Als er mir empfahl, mich an das Rote Kreuz zu wenden, erinnerte ich mich an die Telefonnummer, die mir der freundliche junge Krankenpfleger gegeben hatte. Tatsächlich kam kurz nach meinem Anruf ein Wagen, der uns zurückbrachte.
    Die Nacht war kurz. Nach zwei Stunden Schlaf weckte mich Rachid. Er meinte, dass ich den Brief des Arztes jetzt Madame Tanguy, der mir bereits bekannten Sozialarbeiterin, zeigen müsse.
    »Doch ich glaube nicht, dass sie dir erlaubt, den Tag hier zu verbringen, Samia.«
    »Könnte ich mich nicht an einen anderen Verantwortlichen wenden?«
    »Der Leiter der Unterkunft ist heute nicht hier.«
    Die Kinder waren bereits alle beim Frühstück. Nur Ryan lag noch in einem Sessel und weigerte sich, etwas zu essen.
    Als Madame Tanguy erschien, reichte ich ihr den Brief des Arztes. Sie überflog ihn und sagte dann:
    »Kommt überhaupt nicht infrage! Wenn ich Ihnen das gestatte, muss ich es demnächst allen erlauben.«
    Sie nahm sich einen Kaffee.
    »Der Kleine ist sehr krank. Ich kann ihn nicht bis acht Uhr abends durch die Straßen laufen lassen! Ich habe nicht einmal einen Buggy, in den ich ihn setzen könnte.«
    »Aber ich habe Sie doch schon mit einem Buggy gesehen!«
    »Das ist der Buggy des Babys«, erklärte ich entrüstet.
    »Nehmen Sie das Baby auf den Arm, und setzen Sie das kranke Kind hinein.«
    Damit verschwand sie in ihrem Büro und schloss die Tür. Das Gespräch war beendet! Ich überlegte kurz: Sollte ich weiter insistieren auf die Gefahr hin, sie wütend zu machen, oder sollte ich klein beigeben und riskieren, dass sich Ryans Zustand noch verschlimmerte? Ich fragte Rachid um Rat. Er riet mir, Ruhe zu geben, da die Sozialarbeiterin sich nicht

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