Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
die ich im Notfall sehr schnell einen Rettungswagen rufen konnte.
Das Rote Kreuz war keine ideale Lösung, aber es war immerhin eine Anlaufstelle, auf die ich im Notfall zählen konnte.
Der Kombi hielt vor einem einigermaßen sauberen Hotel. Man übergab uns Essensmarken und wünschte uns viel Glück.
Da die Zimmer winzig waren, mussten wir uns trennen. Die Zwillinge blieben bei mir, während Zacharias, dessen Fieber gesunken war, die Nacht bei seinen großen Schwestern verbrachte. Erschöpft fielen wir in einen tiefen Schlaf. Da es sich um eine sichere Gegend handelte, musste ich auch nicht auf Geräusche in den Fluren horchen.
Am nächsten Morgen rief ich sofort meine Sozialarbeiterin an. Ich wollte nicht noch einen Tag wie eine Obdachlose mit fünf Kindern auf der Straße verbringen!
Glücklicherweise war sie wieder an ihrem Arbeitsplatz und bat mich, in ihr Büro zu kommen. Nach einem üppigen Frühstück im geliebten McDonald’s fühlten wir uns für diese Unterredung gewappnet.
Wie beim vorigen Mal betrat ich das Büro mit Norah und Zacharias. Ohne Umschweife kam sie zur Sache:
»Es ist sehr schwierig, ein Hotel zu finden, das Sie aufnimmt. Niemand will fünf Kinder unterbringen.«
»Und …?«, fragte ich alarmiert.
»Wir haben keine Wahl: Sie werden in einer Unterkunft für Obdachlose schlafen – mit allen Unannehmlichkeiten, die damit verbunden sind. Ich habe wirklich alles versucht!«
»Was für Unannehmlichkeiten meinen Sie?«
»Eine ganze Reihe, Madame. Sie werden früh aufstehen müssen, damit das Frühstück um acht Uhr beendet ist. Dann müssen Sie die Unterkunft verlassen und können erst nach zwanzig Uhr zurückkehren!«
»Was soll ich mit den Kindern zwischen acht Uhr morgens und acht Uhr abends machen? Wo sollen wir hingehen?«
»Das weiß ich nicht, Madame. Sie werden sie beschäftigen müssen, um die Zeit herumzubringen.«
»Und die Kleinen? Sollen sie sich etwa zwölf Stunden auf der Straße herumtreiben?«
»Gehen Sie in die großen Einkaufszentren. Besuchen Sie die Parks. Dann wird der Tag rasch vergehen. Sie werden schon sehen.«
»Ist Ihnen klar, was Sie da sagen? Wo sollen sie schlafen, wenn sie müde sind? Sehen Sie sich mein Baby an! Es ist noch nicht einmal ein Jahr alt! Es kann nicht den ganzen Tag in seinem Buggy sitzen!«
Ich konnte ein Schluchzen nicht mehr unterdrücken. Norah nahm mich in den Arm.
»Mama, mach dir keine Sorgen. Das Wichtigste ist doch, dass wir nachts ein Dach über dem Kopf haben. Was den Tag betrifft, so werden wir dir helfen. Denk daran, dass wir schon viel Schlimmeres durchgestanden haben, Mama!«
Die Sozialarbeiterin übergab mir Essensmarken und die Adresse der Unterkunft, wo wir um zwanzig Uhr erscheinen sollten.
Mit unserem Gepäck zogen wir los. Der Regen gab dabei das Tempo vor: Wenn er zu heftig wurde, suchten wir Schutz in Restaurants; ließ er nach, machten wir uns erneut auf den Weg.
Der Tag kam uns unendlich lang vor! Je mehr Zeit verstrich, desto erschöpfter waren die Kinder und desto quengeliger wurden sie! Wir wollten nur noch irgendwo ankommen, um uns endlich auszuruhen.
Um zwanzig Uhr betraten wir das Obdachlosenheim. Ich musste ein Formular ausfüllen, während ein hochgewachsener junger Mann mit blonden Haaren und hellen Augen meine Kinder fürsorglich in den Speisesaal begleitete.
Als ich fertig war, stellte er sich mir vor.
»Ich heiße Rachid und stamme ebenfalls aus Algerien«, sagte er und schenkte mir ein warmherziges Lächeln.
Wir waren die einzige Familie in dem Raum. Außer einigen Paaren gab es hier offenbar nur alleinstehende Menschen. Rachid brachte uns etwas zu essen und achtete während der Mahlzeit darauf, dass es niemandem an etwas fehlte. Er wirkte freundlich und mitfühlend. Norah und er unterhielten sich über alles Mögliche, besonders über Algerien und Frankreich. Schließlich meinte er traurig:
»Glaubt bloß nicht, dass ihr lange hierbleiben könnt!«
Er wollte verhindern, dass wir uns falsche Hoffnungen machten!
Als es Zeit wurde, die Kinder ins Bett zu bringen, zeigte Rachid uns das Zimmer, in dem wir während der nächsten beiden Wochen schlafen würden.
Es war ein großer Raum mit sechs nebeneinanderstehenden Betten, darunter ein Babybett. Hier gab es alles, was eine Familie benötigte. Da es in der Nacht aufgeklart hatte, blickten wir durch das Dachfenster auf einen sternenübersäten Himmel, der uns süße Träume sandte.
Trotzdem empfahl uns Rachid, die Tür
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