Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
reißen können.
Sie folgte mir in den Flur und schrie mir vor allen Leuten hinterher:
»Ich will Sie in dieser Unterkunft nie wieder sehen, weder Sie noch eines Ihrer Kinder!«
»Ich werde heute Abend wieder hier sein, wie gewöhnlich. Gott sei Dank gehört diese Unterkunft ja nicht Ihnen, Madame!«
»Das werde ich zu verhindern wissen! Scheren Sie sich zum Teufel!«
Die Tür ihres Büros fiel krachend ins Schloss.
Die ganze Wut, die sich seit Tagen angestaut hatte, brach aus mir hervor wie die Lava eines Vulkans. Ich wagte es, ihre Bürotür noch einmal zu öffnen:
»Ich kenne meine Rechte, Madame! Ich werde heute um acht Uhr wiederkommen! Und ich hoffe, dass ich Sie dann nicht mehr sehen muss!«
Dann knallte ich meinerseits die Tür zu.
Im Nu hatte ich meine Kinder eingesammelt, und wir machten uns so schnell wie möglich auf den Weg … Ich begriff, dass ich zu weit gegangen war.
Ich musste so schnell wie möglich mit meiner Sozialarbeiterin sprechen, um ihr den Vorfall von meiner Warte aus zu schildern. Als ich endlich eine Telefonzelle gefunden hatte, wählte ich ihre Nummer, aber die Leitung war besetzt. Zehn Minuten später meldete sie sich und kam sofort zur Sache.
»Ich habe Ihnen vertraut, Madame Rafik! Warum sind Sie so unverschämt zu Madame Tanguy? Sie wollte Ihnen doch nur helfen!«
Da brach ich in Tränen aus. Als meine Kinder, und vor allem Ryan, mich so aufgelöst sahen, weinten auch sie.
»Entschuldige, Mama!«, schluchzte Ryan. »Es ist meine Schuld, dass die Frau böse mit dir ist. Ich hätte mich nicht übergeben dürfen! Es tut mir leid, Mama! Wein nicht mehr, ich verspreche dir, dass ich mich nie wieder übergebe.«
Er drängte sich zwischen meine Beine und klammerte sich an meinen Rock.
Sein Kummer brachte mich wieder zur Vernunft. Ich entschuldigte mich bei meiner Gesprächspartnerin und erklärte meinem Sohn rasch, dass er keine Schuld an dem Vorfall trug.
Dann erzählte ich meine Version der Geschichte. Als ich geendet hatte, herrschte am anderen Ende der Leitung Schweigen. Die Sozialarbeiterin war offenbar sprachlos.
»Falls Ihre Darstellung stimmt und Madame Tanguy Sie derart respektlos behandelt hat, werde ich mit dem Leiter der Unterkunft sprechen. Ich glaube, er ist heute Morgen in Ihrer Unterkunft.«
»Ich habe nichts erfunden. Alle im Speisesaal, die Mitarbeiter wie die Bewohner, waren Zeugen unserer Auseinandersetzung.«
»Kehren Sie heute Abend wie gewöhnlich in die Unterkunft zurück. Alles Weitere überlassen Sie mir. Ich rufe Sie morgen Früh an, um Ihnen mitzuteilen, wo wir Sie und Ihre Familie unterbringen werden.«
Ich dankte ihr. Nachdem ich meine Tränen getrocknet hatte, lächelte ich meinen Kindern ermutigend zu und verkündete, dass wir diesen schrecklichen Ort nun bald verlassen würden.
Ryan war immer noch sehr verstört und versicherte mir erneut, dass er sich nie wieder übergeben würde.
»Niemand hat das Recht, dir das zu verbieten, wenn du nicht anders kannst«, erklärte ich und nahm ihn in den Arm. »Wir sind hier in einem freien Land, wo es zum Glück nicht viele böse Menschen gibt. Vergiss diese grässliche Frau!«
Auch heute fanden wir Zuflucht bei McDonald’s. Hier konnten wir zu erschwinglichen Preisen essen, und die Kinder waren gern gesehene Gäste. Niemand forderte uns auf, das Restaurant wieder zu verlassen. Dieser Ort war uns zu einer vertrauten Zufluchtsstätte geworden! Die Kinder tobten in den Bällen herum, bis sie endlich erschöpft einschliefen.
Ich war immer noch überzeugt, dass ich die bestmögliche Entscheidung für meine Kinder getroffen hatte, machte mir aber große Vorwürfe wegen der mangelnden Planung. Doch wenn ich mit meinen Töchtern darüber sprach, antworteten sie immer wieder: »Mama, du hast dein Bestes getan. Früher oder später wird sich alles finden.«
Mit ihrer Kraft und ihrem Mut war Norah ein echtes Vorbild für mich. Ich vertraute ihrem Urteil: Immer wieder fragte ich sie um Rat, wenn ich mich von der Verantwortung für die Familie überfordert fühlte.
Heute weiß ich, dass uns dieses große Abenteuer einander sehr nahegebracht hat. Norah ist nicht nur meine große Tochter, sondern auch eine Freundin und Vertraute für mich.
Der Tag neigte sich dem Ende zu, und die Rückkehr stand bevor. Norah schärfte mir ein, nicht an Madame Tanguy zu denken, und ich wiederholte das Gleiche gegenüber Ryan, um ihn zu beruhigen.
Als ich gerade Zacharias aus seinem Buggy half, sprach mich eine
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