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Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur

Titel: Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samia Shariff
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untergebracht war. So weit, so gut! Aber: Zu Hause konnten die Kinder keine warme Mahlzeit zu sich nehmen. Außer ihrem Bett hatten sie in den Zimmern nicht den geringsten Platz zum Spielen. Und draußen ebenso wenig!
    Melissa hatte große Schwierigkeiten in der Schule. Die Hausaufgaben musste sie zwangsläufig an dem kleinen Tisch machen, während ihre Brüder um sie herumtobten. Als die Französischlehrerin sie wegen der oft fehlenden oder unzulänglich erledigten Hausaufgaben zur Rede stellte, legte meine Tochter ihr dar, in welcher Lage wir uns befanden. Berührt von ihrer Geschichte, sprach die Lehrerin mit dem Direktor. Er gewährte Melissa einen kostenlosen Platz in der Schulkantine.
    Mehrere Leute aus unserem Umfeld – Kollegen aus dem Krankenhaus und dem Restaurant sowie Mitarbeiter von Organisationen, zu denen ich Kontakt aufgenommen hatte – unterstützten meinen Wohnungsantrag bei der Stadtverwaltung. Aber nachdem wir uns eine ganze Zeit lang vergeblich bemüht hatten, gaben wir auf. Wir hatten begriffen, dass die Initiative von den Behörden selbst ausgehen musste.
    Die Tage vergingen, und die Kinder wurden immer unruhiger. Sie mussten endlich an einem anderen Ort untergebracht werden, wo sie ihren Bewegungsdrang ausleben konnten. Der Hotelbesitzer schimpfte, weil sie nach der Rückkehr aus der Schule und Vorschule zu viel Lärm im Zimmer und auf den Fluren veranstalteten. Ich nahm mir seine Vorhaltungen zu Herzen und wollte strenger sein. Doch am Ende sah ich von weiteren Ermahnungen ab, da ich mich an die Stelle meiner Jungen versetzte: Man kann drei kleine Kinder von vier Jahren und achtzehn Monaten nicht den ganzen Tag über in einem winzigen Hotelzimmer mit dem Fernseher als einziger Zerstreuung einsperren.
    Auch das Essen in Lokalen erforderte viel Disziplin. Manche Verhaltensweisen kann man zu Hause akzeptieren, nicht aber in der Öffentlichkeit. So kaufte ich häufig Konserven, die ich so lange in das mit heißem Wasser gefüllte Waschbecken legte, bis der gerade einmal lauwarme Inhalt genießbar war. Die ganze Zeit über habe ich mich niemals an kalte Milch zum Frühstück gewöhnen können!
    Wie lange würden wir diese Lebensumstände noch ertragen müssen? Das wusste nur Gott allein!
    Eines Morgens verspürte ich furchtbare Schmerzen im Unterleib, kurz darauf setzten heftige Blutungen ein. Melissa begleitete mich ins Krankenhaus, während Norah bei ihren Brüdern blieb.
    Der Arzt diagnostizierte Wucherungen im Uterus, die eine schnelle Entfernung der Gebärmutter unumgänglich machten. Ich musste im Krankenhaus bleiben, da die Operation bereits am nächsten Morgen stattfinden sollte.
    Melissa ging ins Hotel zurück. Meine beiden Töchter waren die Einzigen, die sich an meiner Stelle um die Jungenkümmern würden. Welche Verantwortung lastete auf mir als alleinerziehende Mutter! Was würde geschehen, wenn ich nach der Narkose nicht mehr aufwachte? Wer würde dann für meine Kinder sorgen? Norah war sehr umsichtig, aber viel zu jung, um eine solche Bürde auf sich zu nehmen!
    Der Arzt empfahl mir, sie anzurufen, um ruhiger zu werden. Ein guter Rat. Ich musste Norah versprechen, mir keine Sorgen zu machen. Sie schärfte mir ein, ich solle mich auf meine Genesung konzentrieren und alles andere ihr überlassen. So fand ich Schlaf.
    Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war ich sehr aufgeregt und bedrückt. Die Furcht vor der Operation verstärkte alle meine Ängste. Wir wohnten jetzt schon seit zehn Monaten im Hotel. Die Kinder aßen zu wenig und magerten zusehends ab, besonders Elias, der schon immer sehr zart gewesen war. Tausend quälende Gedanken schwirrten in meinem Kopf umher. Ich sah die Jungen vor mir, sah, wie der Hotelbesitzer sie ausschimpfte und wie die Erzieherin es für anormal hielt, dass sie ein Hotel als ihr Zuhause malten …
    Bevor die Anästhesistin mir die Vollnarkose verabreichte, fragte sie, wie es mir ginge. Da ich die Sache so schnell wie möglich hinter mich bringen wollte, forderte ich sie auf anzufangen. Bevor ich wegdämmerte, stellte ich mir vor, dass meine Kinder auf dem Bett saßen und spielten.
    Ein Teil von mir löste sich von meinem Körper und schwebte über dem Operationstisch. Ich vernahm ganz deutlich, wie die Ärzte und Krankenschwestern im Raum hantierten. Einmal hörte ich den Chefarzt rufen: »Schnell, der Blutdruck fällt ab! Gleich ist sie weg!« Alle versammelten sich um den Operationstisch. Chirurgische Instrumente wanderten eilig von Hand zu

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