Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
wecken?«
»Keine. Abdel schickt mich, um euch wegen meines Hauses um Rat zu fragen.«
»Deines Hauses oder eures Hauses?«, hakte sie nach, ohne mir die Zeit für Erklärungen zu lassen.
»Genau das ist der Grund meines Besuches. Er wünscht, dass ich ihm das Haus überschreibe.«
»Warum denn das? Hast du ihm etwas getan? Fühlt er sich wie ein Fremder zu Hause? Wenn das der Fall ist, wird dein Vater nicht zufrieden mit dir sein.«
»Ich habe nichts Schlechtes getan, Mama. Vor drei Tagen hat er mich gebeten, es ihm zu schenken, und seitdem spricht er mich jeden Tag darauf an. Ich habe darauf bestanden, euch zuerst um Rat zu fragen. Was haltet ihr davon?«
»Antworte ihm, dass das Haus euch beiden gehört. Ein Stück Papier wird daran nichts ändern! Du musst dich so verhalten, dass Abdel das Gefühl hat, er ist in seinem und nicht in deinem Haus. Sonst wird dein Vater dich maßregeln.«
»Ich möchte, dass ihr ihm das selbst erklärt. Denn wenn ich es versuche, könnte er zornig werden und die Beherrschung verlieren. Dann ist er zu allem fähig.«
»Hör auf mit deiner ewigen Leier! Abdel ist ein guter Ehemann. Er behandelt deine Töchter anständig und hat dir nieVorwürfe gemacht, obwohl du ihm zwei Mädchen geschenkt hast. Ein anderer Mann hätte das sehr wohl getan. Du solltest glücklich sein, dass du mit ihm verheiratet bist. Doch du bist unfähig, all die Gaben wertzuschätzen, die Gott dir zuteil werden lässt. Beruhige deinen Mann! Sag ihm, dass alles, was dein ist, auch sein ist und damit alles sowieso ihm gehört! Eine gute Muslimin besitzt nichts und gehört ihrem Mann!«
Was bleibt uns muslimischen Frauen da noch übrig? Nichts! Nur Augen, mit denen wir unser Unglück beweinen können!
Bedrückt kehrte ich nach Hause zurück. Wie sollte ich meinem Ehemann die Antwort meiner Mutter beibringen?
Zu Hause konnte ich endlich diesen Schleier ablegen, der bei fünfundvierzig Grad Hitze schlichtweg unerträglich war. Wie würde Abdel reagieren? Ich wusste, dass er zu den schlimmsten Quälereien fähig war. Das Geräusch des Schlüssels im Schloss kündigte seine Rückkehr an. Der kritische Augenblick war gekommen.
»Samia, ich möchte ohne deine Aufpasserinnen mit dir reden«, befahl er ohne jede Begrüßung.
Er schob mich ins Schlafzimmer. Irgendetwas musste geschehen sein. Ich kauerte mich in eine Ecke wie ein kleines, verängstigtes Mädchen.
»Ich weiß, deine Eltern wollen nicht, dass du mir das Haus überschreibst. Glauben sie eigentlich, dass ich dich all die Jahre nur wegen deiner schönen Augen ertragen habe? Hör mir zu, du dreckiges Flittchen! Wenn du das Haus behältst, lasse ich mich scheiden. Ich werfe dich deinen Eltern vor die Tür, und dort kannst du verfaulen wie ein Müllberg in der Wüste! Denk darüber nach, und entscheide dich! Du gibst mir das Haus, und ich bleibe bei dir, oder du hörst auf sie, und der Abschaum kehrt zum Abschaum zurück.«
Bei diesen Worten sprang ich auf. Zum ersten Mal hatte ich den Mut, meinem Ehemann die Stirn zu bieten!
»Ich bin kein Abschaum und meine Eltern ebenso wenig!«, erklärte ich und sah ihm fest in die Augen. »Wenn du gehen willst, dann geh! Dort ist die Tür! Die Scheidung wäre mir das Allerliebste!«
Blind vor Zorn schlug er mich mit solcher Wucht, dass ich zu Boden stürzte. Dann packte er mich am Hals; seine Hände würgten mich, würgten immer weiter … Ich schlug um mich, konnte aber nicht um Hilfe rufen. Ich bekam kaum noch Luft und fühlte meine Kräfte schwinden. Plötzlich flog die Tür auf, Norah stürzte sich auf ihren Vater und versuchte ihn von mir wegzureißen. Vergeblich. Sie rannte in die Küche und tauchte gleich darauf mit einem riesigen Messer wieder auf.
»Steh auf! Oder ich töte dich!«, schrie sie drohend, obwohl ihr die Tränen über das Gesicht liefen.
Er lockerte seinen Griff. Ich schnappte nach Luft und musste husten. Es fiel mir schwer, zu einem gleichmäßigen Atmen zurückzufinden. Kraftlos blieb ich am Boden liegen.
»Hör mir noch einmal gut zu«, zischte er voller Hass. »Ich kann dich nicht mehr kontrollieren. Und deine Töchter noch weniger. Du bist ein Werk Satans, und es ist meine Pflicht, dich zu verlassen. Aber vorher muss ich mich reinigen! Du hast mich all die Jahre in dem Glauben gehalten, ich sei der Vater deiner beiden Bastarde. Ich lehne jede Verantwortung für sie ab und verstoße dich drei Mal. Ich verstoße dich, ich verstoße dich, ich verstoße dich. Von jetzt an bist du nicht
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