Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
umbringt, können Sie Ihre Töchter ja bitten, uns zu unterrichten«, erwiderte der Polizist zynisch.
Von diesem Mann hatten wir nichts zu erhoffen, so viel stand fest!
So war auch dieser schwache Hoffnungsschimmer erloschen. Einmal mehr fühlte ich mich verflucht. Als wir nun durch die Straßen gingen, fiel mir auf, wie groß der Wandel war, der sich hier vollzogen hatte. Die Leute, die uns begegneten, starrten uns an. Offensichtlich ahnten sie, dass wir nicht von hier waren, dass wir aus Europa kamen – Fremde mit sittenlosen Anschauungen.
Bärtige Männer in afghanischer Kleidung schritten an uns vorüber und murmelten abfällige Worte. Ich vernahm die Worte Frankreich und Immigranten und begann zu begreifen, dass ich in diesem Land nicht sicher war.
Gott sei Dank gab es noch Männer, die sich europäisch kleideten, doch ihre Ansichten unterschieden sich offenbar nicht sonderlich von denen ihrer traditionsbewussten Landsleute.
Wir beschleunigten unseren Schritt. Zu Hause legte ich den dicken Schleier ab. Dann suchten wir gemeinsam nach einer anderen Lösung.
»Was hältst du davon, wenn wir alle drei dieses Land verlassen?«, schlug Norah vor. »Ich will nicht länger hierbleiben.«
»Deine Idee ist gut, aber wie willst du das anstellen?«
»Wir nehmen möglichst wenig Gepäck mit, damit wir uns schnell fortbewegen können. Du hast unsere Pässe und genug Geld, um Flugtickets für uns zu kaufen … Adieu, Algerien. Denk doch einmal nach, Mama! Das ist die beste Lösung!«
»Einverstanden! Wir gehen aufs Ganze! Ich telefoniere gleich und reserviere Plätze für die erste Maschine, die morgen früh nach Paris geht.«
»Und wenn er heute Abend wieder anfängt, was dann, Mama?«, fragte Melissa sehr richtig. »Wenn er das Haus anzündet, während wir schlafen? Ich habe Angst!«
»Du brauchst keine Angst zu haben, mein Liebling! Ich werde heute Abend sehr nett zu ihm sein und alles tun, was er verlangt. Und wenn er morgen Früh zur Arbeit gegangen ist, packen wir unsere Sachen und nehmen das Flugzeug.«
Meine Töchter verliehen mir den Mut, alles hinter mir zu lassen, und zwar so schnell wie möglich. Jetzt sehnte ich mich nur noch nach Freiheit und war bereit, mein Leben dafür aufs Spiel zu setzen.
Ich hatte drei Plätze für den Flug um elf Uhr am nächsten Morgen reserviert. Unsere Pläne hatten sehr konkrete Formen angenommen.
Den ganzen Tag über warteten wir angstvoll und aufgeregt auf die Rückkehr von Abdel. Er erschien mit finsterer Miene und musterte uns herausfordernd. Das war seine Art, uns klarzumachen, wer hier der Herr war.
»Samia, komm ins Schlafzimmer, ich muss mit dir reden. Ihr Mädchen wartet draußen. Ich muss wichtige Dinge mit eurer Mutter besprechen.«
Abdels Ton ließ keine Diskussion zu, allerdings stand mir auch gar nicht der Sinn danach. Stumm flehte ich Gott um Hilfe an.
»Hör zu«, begann er feierlich, »ich möchte, dass du zum Notar gehst und mir dieses Haus überschreibst. Denn ich kenne keinen einzigen Mann, der im Haus seiner Frau wohnt! Diesen Zustand kann ich nicht länger dulden!«
Damit lieferte mir Abdel das perfekte Motiv, um ihn bis morgen hinzuhalten. Außerdem war es das erste Mal, dass ich mich vor ihm wichtig fühlte. Er verlangte höflich, dass ich ihm mein Haus schenkte, damit der Herr sich zu Hause fühlte wie andere Männer auch! Ich holte tief Luft, bevor ich antwortete.
»Ich schlage dir das nicht ab, aber ich würde gerne bis zur Rückkehr meiner Eltern warten, um ihre Zustimmung einzuholen. Du weißt ja, dass dieses Haus ein Geschenk meines Vaters an mich war.«
»Du hast recht, wir müssen ihre Rückkehr abwarten. Aber du selbst bist tatsächlich mit meiner Entscheidung einverstanden?«
»Ja, das bin ich, denn alles, was der Frau gehört, gehört auch dem Mann«, antwortete ich so unbefangen wie möglich.
Diese Antwort stimmte ihn sehr zufrieden, obwohl er ein wenig überrascht über die Geisteshaltung war, die ich mit einem Mal an den Tag legte.
»Du hast recht«, bekräftigte er. »Alles, was dir gehört, gehört auch mir. Im Grunde bist du eine gute Ehefrau. Ich bereue nicht mehr, dass ich dich geheiratet habe.«
Damit verließ er das Zimmer. Ich war durchaus stolz auf meine schauspielerischen Fähigkeiten. Meine Töchter warteten bereits ungeduldig auf mich und wollten wissen, was passiert war. Ich erzählte es ihnen. Norah war empört darüber, dass es ihrem Vater nur um materielle Dinge ging und er nicht im Traum daran dachte, sich
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