Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
Situation veränderte sich nun von Stunde zu Stunde. Abdel forderte immer noch zehn Millionen Dinar, um zu uns zurückzukehren, aber ohne diese Summe würde er auch meine Töchter nicht zu sich nehmen. Denn seiner Ansicht nach waren sie ja gar nicht seine Töchter!
»Was soll ich nun mit euch dreien anstellen?«, schrie mein Vater. »Ich kann euch nicht bis ans Ende meiner Tage unter meinem Dach leben lassen! Ich denke, da akzeptiere ich besser seine Forderung!«
»Du wirst dich nicht um uns kümmern müssen«, versicherte ich. »Ich werde für die Mädchen sorgen und deinen Namen niemals beschmutzen. Du wirst es niemals bereuen, mir meine Töchter gelassen zu haben. Vertrau mir!«
»Niemals! Niemals in meinem ganzen Leben! Was sollen die Leute denken, wenn meine Tochter ihre Kinder allein aufzieht? Dass ich die Regeln unseres heiligen Glaubens nicht achte? Eher töte ich euch, als dass ich eine solche Demütigung hinnehme!«
»Trotz des Respekts, den ich euch schulde, muss ich euch sagen, dass ich nicht mehr mit diesem Mann zusammenleben werde, auch wenn ihr ihm das geforderte Geld gebt. Vergesst nicht, dass er mich drei Mal verstoßen hat! Nach dem islamischen Gesetz bin ich nicht mehr seine Frau, Vater!«
»Du widersprichst mir! Madame nimmt ihr Leben selbst in die Hand«, höhnte er nun sarkastisch. »Was halten deine Töchter von deiner Entscheidung?«
»Meine Töchter wollen mit mir zusammenbleiben, denn bei ihrem Vater sind sie unglücklich!«
»Gut! Ich habe keine Lust, meine Zeit weiterhin mit dir und deinen Töchtern zu verschwenden«, verkündete mein Vater, um zum Ende zu kommen. »Ich bin nicht in der Lage, dich bis ans Ende meiner Tage bei mir aufzunehmen! Und ich habe dich nicht mit sechzehn Jahren verheiratet, damit du sechzehn Jahre später wieder bei mir auftauchst. Ich brauche nicht für deinen Unterhalt zu sorgen. Und für den deiner Töchter noch viel weniger. Dir gegenüber habe ich keine Verpflichtungen mehr.«
»Ich will keine Last für euch sein, aber Abdel hat mich drei Mal verstoßen, bevor er mich verlassen hat. Vor Gott bin ich nicht mehr seine Frau. Ich bin in der Lage, meine Töchter anständig zu erziehen, auch wenn ich allein lebe. Ihr werdet stolz auf mich sein! Lasst mich mit meinen Töchtern in eurer Nähe leben. Wenn es nötig ist, werde ich auch arbeiten!«
Mein Vater wirkte zunehmend angespannt.
»Sag niemandem, dass dein Mann dich verstoßen hat. Ich wiederhole es noch einmal: In der Familie Shariff lässt man sich nicht scheiden. Deine Mutter und ich machen jetzt Urlaub in unserem Haus in Spanien. Während unserer Abwesenheit wirst du die Situation mit deinem Mann klären, und ich will, dass alles geregelt ist, wenn wir zurückkommen. Mehr habe ich dir im Moment nicht zu sagen.«
Die Diskussion war beendet.
Zwar war es mir nicht gelungen, meinen Vater umzustimmen, aber ich hatte meinen Standpunkt verteidigt, und darauf war ich stolz. Früher hätte ich klein beigegeben, doch jetzt ließ ich mich nicht mehr einschüchtern. Allmählich konnte ich mich meiner Familie gegenüber behaupten. Ich war entschlossen, aus dem Gefängnis auszubrechen, in das ich seit meiner Geburt gesperrt war. Ich würde alle Hebel in Bewegung setzen, um dieses Land gemeinsam mit meinen Töchtern zu verlassen. Ich wollte, dass sie ihr Leben als freie Frauen ohne Unterdrückung und Gewalt führen konnten.
Meine Eltern fuhren also nach Spanien. Bis zu ihrer Rückkehr blieb mir Zeit, eine Lösung zu finden.
In diesen Jahren zeigte man in Algerien mit dem Finger auf eine Frau, die mit zwei jungen Mädchen allein lebte. Man murmelte im Vorübergehen: »Das ist sie! Das ist sie!« Unsere Situation war alles andere als ungefährlich.
»Steht die Tür immer offen?«, spottete einmal ein junger Mann und lachte mit seinem Kumpel laut los.
»Ich verstehe nicht. Was meinst du damit?«, fragte ich.
»Ist der Weg frei? Ich kann mich doch einfach bei dir einladen! Es gibt ja keinen Mann, der mich daran hindert und deine Ehre verteidigt.«
»Ich warne dich, ich habe vier Brüder, die in meiner Nachbarschaft wohnen. Deshalb rate ich dir, weder mir noch meinen Töchtern zu nahe zu kommen.«
Ich wusste, dass er nicht der Einzige war, der so dachte. In Algerien begreifen die Männer nicht, dass eine Frau auch ohne Mann leben kann. Eine alleinstehende Frau ist eine Frau, die jeder haben kann, und deshalb verdient sie es, dass man mit dem Finger auf sie zeigt.
Wir bewegten uns mit der allergrößten
Weitere Kostenlose Bücher