Der Schlitzer
die Decke, die sich grau über ihm spannte. Sie war wie ein straff gespannter Teppich. Durch das Fenster fiel kein Licht. Ein Rollo verdeckte das Viereck.
Freeman stand auf.
Er fühlte sich gut und dokumentierte dies auch, indem er die Arme ausstreckte, sich reckte, die Hände bewegte, sie zu Fäusten ballte, die Finger wieder streckte und sich dann abrupt herumdrehte, um auf die Tür zuzugehen. Er verzichtete auf jegliche Kleidung. Selbst den Bademantel ließ er liegen. Splitternackt betrat er das Bad. Diesmal in einer anderen Stimmung als noch vor einer Stunde.
In dem Raum gab es zwei Türen.
Durch eine, die sichtbare, war er gekommen. Die zweite schloß so dicht mit der Wand ab, daß sie beim ersten Hinsehen kaum zu erkennen war. Man mußte sich schon auskennen, um zu wissen, daß hier etwas war. Freeman ging auf die Wand zu. Er blieb dann stehen und berührte sie an einer bestimmten Stelle. Freeman brauchte nicht einmal viel Druck zu geben. Wie von selbst öffnete sich die Tür. Lautlos schwang sie nach außen und hinein in die Dunkelheit, die wie ein dichter Teppich vor ihm lag. Es war nicht nur dunkel, sondern auch kühl. Diese Grabeskühle strömte ihm von unten her entgegen, sie erwischte sein Gesicht, den nackten Körper und umlegte ihn wie ein Umhang.
Tief unter ihm lag so etwas wie ein Keller, und direkt vor seinen Füßen begann die Metalltreppe. Die Stufen glänzten selbst in der Dunkelheit. Bis zur Hälfte konnte er die Treppe erkennen, danach verschwammen die Stufen, als wären sie von der Finsternis aufgesaugt worden. Er machte Licht.
Die kalte Leuchtstoffröhre an der Decke war stark genug, um den Keller auszuleuchten. Sie fiel nicht nur auf den mit glänzendem Estrich bestrichenen Betonboden, sondern auch auf die gewaltige Röhre, die im Keller stand. Sie sah aus wie ein großer Tank, war grau gestrichen und an den Seiten mit mächtigen runden Türen verschlossen. Der Tank war nicht nur groß, man konnte ihn durchaus als riesig bezeichnen. Seine Ausmaße lagen über denen eines normalen Tankwagens, und zum Einstieg führte eine Leiter hoch.
Freeman ging die Stufen hinab. Sein Körper bewegte sich geschmeidig, die Muskeln machten das Spiel mit, nichts mehr wirkte verkrampft. Freeman war locker, war cool, er war überhaupt nicht mehr verkrampft. Es ging ihm gut, es mußte ihm gutgehen, und er war davon überzeugt, daß er es schaffen würde.
Er lächelte.
Wieder trat dieser widerliche faunische Zug um seine Lippen. Freeman ließ die Treppe hinter sich, er ging die wenigen Schritte bis zur Tankleiter und blieb stehen.
Er schaute sich um.
Die Tür war hinter ihm zugefallen. Geräuschlos, und sie bildete mit der Wand wieder eine Einheit.
Das Licht löschte er nicht. Die Dunkelheit des Tanks würde ihm ausreichen.
Dann stieg er die schräge Leiter hoch und öffnete die runde Tür des Einstiegs.
Freeman war sich sicher.
In dieser Nacht würde der Schlitzer wieder ein Opfer finden!
***
Shelly Wagner war nach ihrer Aussage beim Yard nicht nach Hause, sondern mit der U-Bahn in die City gefahren, um sich dort die Schaufenster einiger Geschäfte anzuschauen, da sie noch einige Wintersachen kaufen wollte.
Das ging nur einige Minuten gut. Sehr bald schon stellte Shelly fest, daß es ihr unmöglich war, sich darauf zu konzentrieren, denn vor ihren Augen verschwammen die Auslagen. Sie bekam Kopfschmerzen, wenn sie zu lange in die Schaufenster starrte, und irgendwann verschwammen die dort ausgestellten Gegenstände auch vor ihren Augen. Nein, nicht heute. Nicht an diesem Tag. Immer öfter kehrten die Szenen vom Friedhof zurück. Sie vermischten sich mit den Bildern, die sie beim Yard erlebt hatte, und sie dachte auch daran, daß sie sich eigentlich mit ihrem Freund Andrew Bonner hatte treffen wollen. Wenn sie den Zeitpunkt einhalten wollte, mußte sie sich beeilen, aber sie wußte gleichzeitig, daß Andrew ihr keine große Hilfe sein würde. An diesem Tag hielt er sich zwar noch in London auf, am folgenden Tag würde er jedoch sehr früh doch wegfahren müssen, weil er in Liverpool zu tun hatte. Andrew arbeitete im Bauamt der Stadt. Er war Spezialist für Grundstücksangelegenheiten und wurde oft losgeschickt, wenn es irgendwelche Probleme gab. Es bestand zwar nur eine geringe Hoffnung, aber vielleicht blieb er noch die Nacht über bei ihr. Shelly nahm wieder die U-Bahn. Um diese Zeit waren die Wagen voll, der Berufsverkehr schlug voll zu Buche. Sie fühlte sich von den Mitreisenden eingekesselt.
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