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Der Schlitzer

Der Schlitzer

Titel: Der Schlitzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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Man hatte sie immer weiter in die Ecke gedrückt, bis es nicht mehr ging.
    Vor ihr stand ein Typ in Lederjacke, einem grellen T-Shirt darunter und klammerte sich an einem Haltegriff fest. Sein Gesicht befand sich dicht vor dem ihren. Der Typ hatte eine sehr bleiche Haut, was allerdings durch seinen dunklen Bart in der unteren Gesichtshälfte ausgeglichen wurde. Die Lippen glänzten so feucht, als wären sie mit Öl eingerieben worden, und er grinste sie permanent an.
    Shelly schaute zu Boden.
    Die Fahrt in den Süden kam ihr viel zu lang vor, und sie war froh, daß ihr Nachbar irgendwann ausstieg.
    Shelly atmete auf. Der Wagen hatte sich so weit geleert, daß Shelly einen Sitzplatz fand. Sogar am Fenster konnte sie sich niederlassen, schaute durch die Scheibe in den grauen Novembertag und fühlte ihre Stimmung noch grauer werden, als dieser Tag schon war.
    Erinnerungen überfielen sie. Immer wieder sah sie sich auf dem Friedhof, und immer wieder erschien die Gestalt vor ihren Augen. Ein nebulöser Mensch, ein Mordmonster, eine Person oder eine Unperson?
    Das wußte sie nicht, und sie konnte auch keine Erklärung dafür geben. Sie hatte ihn sogar identifizieren können, aber sie fragte sich, weshalb sie dabei das Gefühl hatte, es mit keinem Menschen zu tun zu haben, sondern mit einem Geist, einem Gespenst oder einem Mittelding zwischen diesen beiden. Was war er?
    Darüber konnte sie nicht weiter nachdenken, weil sie sich an andere Szenen erinnerte.
    Sie sah sich wieder in der Fahndungsabteilung sitzen, und auf dem Monitor erschien das Bild. Daß es so klar geworden war, darüber konnte sie sich noch immer wundern, und dieses Gesicht wollte ihr einfach nicht aus dem Sinn.
    So klar, so erkennbar, so deutlich, daß sie sich daran erinnert hatte. Ja, sie kannte ihn!
    Sie hatte ihn schon gesehen. Er war ein Mann, der in ihrer Nähe wohnte. Nur konnte sie nicht konkret werden, denn gleichzeitig glich ihre Erinnerung auch einem Schatten, der sehr schnell durch ihr Bewußtsein huschte.
    Im letzten Augenblick stand sie auf. Sie hätte beinahe vergessen, auszusteigen. Hastig verließ Shelly den Zug. Auf dem Bahnsteig kam sie sich bedroht vor, ihr gefiel die Enge der Röhre nicht. Das gelbe Licht erinnerte sie an kalte Raubtieraugen, deshalb hastete sie zur Treppe. Erst im Freien konnte Shelly wieder tief durchatmen, aber viel besser ging es ihr nicht.
    Sie ärgerte sich selbst über ihr Zittern und wunderte sich auch, daß der kalte Schweiß auf ihrer Stirn lag. Den Mantel wickelte die Frau enger um ihren Körper, bevor sie durch die Dämmerung ihrem neuen Ziel entgegeneilte.
    Das Lokal lag in einer der vielen ruhigen Straßen. Der Gehsteig davor war mit hellen Steinen gepflastert, so daß er ein wenig an eine italienische Piazza erinnerte. In der Tat wurde das Lokal von einem Italiener geführt. Er verkaufte nicht nur Getränke, sondern auch kleine Imbisse.
    Shelly betrat den Laden und fühlte sich in der wohligen Wärme sofort sicherer.
    Zwei Bedienungen und der Wirt selbst kümmerten sich um die Gäste. Shelly nahm nicht auf den mit rotem Kunstleder bezogenen Hockern Platz, sondern suchte sich einen kleinen Tisch nicht weit von einem der beiden Fenster entfernt.
    Gio, der Wirt, schwarzhaarig, ewig gebräunt und immer lächelnd, trat auf sie zu. »Was darf ich dir denn bringen?«
    »Campari mit Orange.«
    »Gut, bekommst du, Bella.«
    »Ja, danke.«
    Gio zog die Augenbrauen zusammen. »Was ist mit dir, Bella? Du siehst so traurig aus.«
    Shelly ging darauf nicht ein. »War Andrew schon hier?«
    »Nein, heute nicht.«
    »Hat er angerufen?«
    »Auch nicht!«
    Shelly lächelte verkrampft. »Da kann man wohl nichts machen.«
    »Will er denn noch kommen?«
    »Ich hoffe es.«
    »Ich wünsche dir, daß er kommt, Bella.« Gio streichelte ihre Wange. »Ich kannte traurige Frauen nicht leiden sehen. Das Wetter ist schon traurig genug. Hier sollen wir reden, lachen, lustig sein.«
    »Das denke ich auch.«
    Gio verschwand hinter der Theke, um den Drink zu mixen. Dabei pfiff er ein Lied aus seiner italienischen Heimat. Hin und wieder schaute er schräg hinter sich, wo ein Fernseher stand. Über den Bildschirm flatterte das italienische Programm von RAI.
    Shelly drehte ihren Stuhl so, daß sie nicht von dem Strahler geblendet wurde. Sie schaute in den Raum hinein, sah sich die noch wenigen Gäste an. In einer halben Stunde würde es anders aussehen, da hatten auch die beiden Mädchen mehr zu tun, die hier bedienten. Sie hoffte, daß auch

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