Der Schlüssel zu Rebecca
Wolff kannte keine Skrupel. Die Erkenntnis ließ sie schaudern, denn sie war in seiner Gewalt.
Würde sie imstande sein, ihn zu töten?
Er trug seinen Koffer in der linken Hand und hatte ihren Arm mit der rechten gepackt. Sie erreichten die Straße und näherten sich seinem Wagen. Wolff schloß die Tür an der Fahrerseite auf und zwang sie, über denSchalthebel zum Beifahrersitz zu klettern. Er setzte sich neben sie und ließ den Motor an.
Es war ein Wunder, daß das Auto nach einer Nacht auf der Straße immer noch unversehrt war. Normalerweise wäre alles Abnehmbare gestohlen worden, auch die Räder. Wolffs Glück schien unerschöpflich zu sein.
Der Wagen setzte sich in Bewegung. Wohin fuhren sie? Wo es auch sein mochte, an ihrem Ziel waren Wolffs zweites Funkgerat, ein weiteres Exemplar von »Rebecca« und der zusätzliche Codeschlüssel. Wenn wir dort ankommen, muß ich es noch einmal versuchen, dachte Elene müde. Nun hing alles von ihr ab. Sie allein mußte Wolff daran hindern, Kontakt mit Rommel aufzunehmen und, wenn möglich, den Codeschlüssel stehlen. Eigentlich wünschte sie sich nur, vor diesem rücksichtslosen, gefährlichen Mann zu fliehen, nach Hause zurückzukehren, Spione, Codes und Krieg zu vergessen.
Sie dachte an ihren Vater, der zu Fuß nach Jerusalem unterwegs war, und wußte, daß sie nicht einfach aufgeben konnte. Wolff stoppte. Elene merkte plötzlich, wo sie waren. Sie sagte: »Das ist Vandams Haus!«
»Ja.«
Sie bemühte sich, in Wolffs Miene zu lesen. »Vandam ist nicht hier.«
»Nein.« Wolff lächelte kalt. »Aber Billy.«
24
A NWAR EL-SADAT ZEIGTE sich hocherfreut über das Funkgerät.
»Es ist ein Hallicrafter/Skychallenger«, erklärte er Kemel. »Ein amerikanisches Modell.« Er schloß es an, um es zu testen, und überzeugte sich, daß es sehrleistungsfähig war. Kemel erläuterte, daß er um Mitternacht auf der vorgegebenen Wellenlänge senden müsse und daß das Rufzeichen Sphinx sei. Da Wolff sich geweigert habe, ihm den Code zu geben, müßten sie das Risiko eingehen, den Text unverschlüsselt zu senden.
Sie versteckten das Radio im Herd in der Küche des kleinen Hauses.
Kemel verließ Sadat und fuhr von Kubri al-Qubbah zurück nach Samalek. Unterwegs grübelte er darüber nach, wie er seine Rolle bei den Ereignissen dieser Nacht vertuschen könne.
Seine Geschichte mußte mit der des Beamten übereinstimmen, den Vandam um Hilfe geschickt hatte. Also würde er zugeben, daß er angerufen worden war. Vielleicht wäre es am besten zu behaupten, er habe die Briten nicht sofort benachrichtigt, weil er erst an Ort und Stelle habe klären müssen, ob es sich bei »Major Vandam« um einen Betrüger handele. Und dann? Er habe auf dem Treidelpfad und in den Büschen nach Vandam gesucht und sei ebenfalls bewußtlos geschlagen worden. Der Haken war, daß er nicht so viele Stunden ohnmächtig gewesen sein konnte. Er mußte also vorgeben, gefesselt worden zu sein. Ja, er würde sagen, er sei gefesselt worden und habe sich eben erst selbst befreien können. Dann würden er und Vandam an Bord des Hausbootes gehen – und es leer vorfinden.
Kemel parkte sein Auto und stieg vorsichtig zum Treidelpfad hinunter. Er machte die Stelle in den Büschen aus, an der er Vandam zurückgelassen hatte, legte sich dreißig oder vierzig Meter davon entfernt auf die Erde und rollte von einer Seite auf die andere, um seine Kleidung schmutzig zu machen. Darin rieb er etwas Sand über sein Gesicht und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Nachdem er sich die Handgelenke zerkratzt hatte, um Abschürfungen vorzutäuschen, suchte er nach Vandam.
Er fand ihn genau dort, wo er ihn zurückgelassen hatte. Fesseln und Knebel waren nicht gelockert. Vandam starrte Kemel mit aufgerissenen Augen an.
»Mein Gott, man hat Sie auch erwischt!« sagte Kemel.
Er bückte sich, entfernte den Knebel und begann, Vandam loszubinden. »Der Sergeant hat mich angerufen. Ich kam hierher, und plötzlich wachte ich mit Kopfschmerzen, gefesselt und geknebelt, auf. Das ist ein paar Stunden her. Ich habe mich gerade befreit.«
Vandam antwortete nicht.
Kemel warf das Seil zur Seite. Vandam erhob sich steif. »Wie fühlen Sie sich?«
»Es geht.«
»Lassen Sie uns nachsehen, ob auf dem Hausboot noch etwas zu finden ist«, schlug Kemel vor. Er drehte sich um.
*
Sobald Kemel ihm den Rücken zuwandte, trat Vandam vor und schlug ihm mit aller Kraft die Handkante in den Nacken. Der Hieb hätte Kemel töten können, aber das
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