Der Schlüssel zu Rebecca
schmeckte die feuchte Morgenluft; dann löste die Vision sich auf, und er hatte wieder den stahlblauen afrikanischen Himmel, die Reisfelder, die Palmen und die fernen braunen Klippen vor sich.
Der Zug näherte sich einer Stadt. Sein geographisches Wissen war nicht allzu gut, und er wußte nicht mehr, welche Strecke er zurückgelegt hatte. Es war ein kleiner Ort mit drei oder vier Ziegelgebäuden und einem Markt.
Der Zug würde vor ihm eintreffen. Vandam hatte einen Plan, aber er brauchte Zeit. Er konnte nicht einfach in den Bahnhof laufen und auf den Zug springen; er mußte Vorbereitungen treffen. Am Stadtrand wurde er langsamer. Die Straße war von einer kleinen Schafherde blockiert. Aus einer Tür beobachtete ihn ein alter Mann, der eine Wasserpfeife rauchte. Ein Europäer auf einem Motorrad war ein seltener, aber kein unbekannter Anblick. Ein Esel, der an einen Baum gebunden war, schnaubte das Motorrad an. Ein Wasserbüffel, der aus einem Eimertrank, blickte nicht einmal auf. Zwei schmutzige, in Lumpen gekleidete Kinder rannten neben ihm her und machten »Brrrm, brrrm«. Vandam entdeckte den Bahnhof. Vom Vorplatz aus konnte er den Bahnsteig nicht erkennen, denn er wurde von einem langen, niedrigen Stationsgebäude verdeckt. Aber er hatte den Ausgang im Blickfeld.
Er würde draußen warten, bis der Zug weiterfuhr. Falls Wolff nicht ausstieg, würde er starten und die nächste Station viel früher als der Zug erreichen. Er hielt die Maschine an und stellte den Motor ab. Der Zug rollte langsam über einen Bahnübergang. Elene sah die geduldigen Gesichter der Menschen hinter der Schranke: ein dicker Mann auf einem Esel, ein ganz kleiner Junge, der ein Kamel führte, ein von einem Pferd gezogenes Taxi, eine Gruppe schweigender alter Frauen. Das Kamel legte sich nieder, der Junge begann, seinen Kopf mit einem Stock zu prügeln, und dann verschwand die Szene aus dem Blickfeld. In wenigen Augenblicken würde der Zug an der Station halten. Elene verließ der Mut. Noch nicht, dachte sie. Ich habe noch keine Zeit gehabt, einen Plan zu machen. An der nächsten Station, ich warte noch. Aber sie hatte Billy wissen lassen, daß sie an dieser Station einen Fluchtversuch wagen würden. Wenn sie nichts unternahm, würde er ihr nicht mehr vertrauen. Es mußte jetzt geschehen.
Sie versuchte, sich einen Plan auszudenken. Was war am wichtigsten? Billy aus Wolffs Nähe zu schaffen. Nur darauf kam es an. Wenn Billy eine Chance haben sollte, mußte sie Wolff daran hindern, ihm nachzusetzen. Plötzlich erinnerte sie sich an einen Kampf aus ihrer Kindheit, in einer schmutzigen Slumstraße in Alexandria. Ein großer brutaler Junge hatte sie geschlagen, ein anderer hatte sich eingemischt und mit ihm gerungen. Der kleinere rief ihr zu: »Lauf, lauf!«, während sie entsetzt, aber fasziniert den Kampf beobachtete. Elene blickte sich um. Schnell! Sie waren in einem offenen Wagen mit fünfzehn oder zwanzigSitzreihen. Billy und sie saßen in Fahrtrichtung, Wolff ihnen gegenüber. Neben ihm war ein leerer Sitz, hinter ihm die Ausgangstür zum Bahnsteig. Die anderen Passagiere, eine Mischung aus Europäern und wohlhabenden Ägyptern, die alle westliche Kleidung trugen, schwitzten und schienen müde zu sein; einige schliefen. Der Zugbegleiter servierte einer Gruppe ägyptischer Armeeoffiziere am anderen Ende des Wagens Tee in Gläsern.
Durch das Fenster sah sie eine kleine Moschee, ein Gerichtsgebäude, dann den Bahnhof. Ein paar Bäume wuchsen auf dem staubigen Boden neben dem Betonbahnsteig. Ein alter Mann saß mit gekreuzten Beinen unter einem Baum und rauchte eine Zigarette. Sechs jungenhaft wirkende arabische Soldaten drängten sich auf einer kleinen Bank zusammen. Eine schwangere Frau trug ein Baby auf den Armen. Der Zug hielt an.
Noch nicht, dachte Elene, noch nicht. Sie fieberte vor Nervosität, blieb aber still sitzen. Auf dem Bahnsteig war eine Uhr mit römischen Ziffern. Sie war um 16.45 Uhr stehengeblieben. Ein Mann kam ans Fenster, um Obstsäfte anzubieten. Wolff winkte ihn zu sich.
Ein Priester in koptischen Gewändern betrat den Zug, steuerte auf den Sitz neben Wolff zu und erkundigte sich höflich: »Vous permettez, m’sieur?«
Wolff lächelte charmant und erwiderte: » Je vous en prie.« Elene flüsterte Billy zu: »Wenn du das Signalhorn hörst, lauf zur Tür und steig aus.« Ihr Herz schlug schneller: Nun gab es kein Zurück mehr.
Billy sagte nichts. Wolff fragte: »Was war das?« Elene schaute zur Seite. Der Pfiff
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