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Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)

Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)

Titel: Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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damals nicht gerade begeistert, hierherzuziehen, aber sie hat sich gefügt. Nach und nach. Wir haben die Kinder bekommen, und noch ein weiteres, das gestorben ist. Die Kinder vermissen sie. Sie war fleißig, nie hat sie die Hände in den Schoß gelegt.
    Von draußen hört man Hjalti, seine kräftige Stimme übertönt kreischende Kinderstimmen und Hundegebell. Er scheint mit den Kindern zu spielen, es sind jedenfalls Freudenschreie. Was ist das Ende der Welt, fragt sich der Junge.
    Sie ist dir heute Nacht erschienen?, knüpft Jens behutsam wieder an. Er weiß genau, wann man etwas sagen und wann man besser schweigen sollte, was man sagen soll und worüber man schweigt.
    Ja, sagt Bjarni. Sie will in geweihte Erde kommen. Darum hat sie euch hergeführt.
    Hast du einen Schlitten?, fragt Jens.
    Ein Kufengestell, sagt Bjarni. Seitdem ich vor ein paar Jahren meinen Vater rübergebracht habe. Er sieht den Jungen mit einem langen Blick an. Seine Augen sind hellblau, der Blick stet; die dunklen Haare und der Bart weisen die ersten grauen Fäden auf. Ich möchte dich bitten, währenddessen hierzubleiben und dich um die Schafe und meine Mutter zu kümmern. Die Kinder kommen allein zurecht, Þóra sorgt für sie. Höchstens drei oder vier Tage, je nach Wetter, ich bezahle dich dafür.
    Der Junge vermeidet es, ihm in die Augen zu sehen. Bezahlen, womit denn, denkt er.
    Ich kann im Handelsposten in Sléttueyri etwas anschreiben lassen und dir mitbringen, sagt Bjarni, als habe er die Gedanken des Jungen gelesen. Der schlägt die Augen nieder.
    Es täte sicher gut, sich hier auszuruhen.
    Die beschwerliche Strapaze nicht mitmachen zu müssen. Sich einmal nicht mit dem Wetter anzulegen. Und mit den verfluchten Bergen. Schon allein bei dem Gedanken, wieder aufbrechen zu müssen, fühlt er sich ganz schwach, und dann noch mit einer Leiche im Schlepptau. Ein Kinderspiel dagegen, fünfzig Schafe zu füttern, und das Mädchen – Þóra heißt es doch – füttert seine Geschwister, er braucht sie nur zu unterhalten, dafür zu sorgen, dass sie auf andere Gedanken kommen. Und mit der Alten? An sich kein Problem, sie trockenzulegen, auch wenn sie so streng riecht. Er hat schon mit ganz anderem Gestank fertig werden müssen, es ist noch nie jemand erstunken. Trotzdem ist ihm ein bisschen mulmig bei der Vorstellung. Ihre Finger sind so krumm wie Krallen.
    Mit meiner Mutter wird man leicht fertig, sagt Bjarni, und irgendwo habe ich auch noch was zu lesen für dich.
    Der Junge, ganz erstaunt: Etwas zu lesen?
    Ein paar Zeitschriften, sagt Bjarni entschuldigend. Skírnir und Iðunn . Ich denke, eines der Exemplare in eurem Postsack sollte für mich bestimmt sein. Dann gibt es auch noch Zeitschriften von diesen Isländern in Kopenhagen Nýju félagsrítin , die meinem Vater gehörten. Ich gehe davon aus, dass du gern liest, und die Zeitschriften sollten für die paar Tage reichen. Natürlich gibt es hier auch Gesangbücher, aber daran habt ihr jungen Leute ja meist kein Interesse. Ach so, einige wenige Gedichtbändchen und Sagas natürlich, Njálssaga und Grettissaga, auch von Papa. Die Letztere wollte er mit ins Grab nehmen, aber darum habe ich ihn geprellt. Ich bin nicht sonderlich davon überzeugt, dass man im Grab liest, und Bücher sind nun mal dazu da, gelesen zu werden, sonst sind sie nutzlos, und es ist schlecht, wenn etwas keinen Nutzen hat.
    Hat dein Vater viel gelesen?, fragt der Junge.
    Da ist er nie herausgewachsen und trotzdem alt geworden. Zeitweilig hat er sicher an die dreißig alte Schwarten besessen und eine Menge Handschriften, die er selbst angefertigt hat. Viele, viele Stunden hat er damit zugebracht, anstatt sich auszuruhen, und unnötige Mengen Tran verbrannt, wie Mama zu sagen pflegte. Ist alles kaputt gegangen, als der alte Hof abbrannte. Danach sind sie hierher gezogen.
    Sind die Bücher verbrannt?, fragt der Junge.
    Ja, mitsamt dem Gerät, den Kleidern und dem Hund. Papa ist noch mal ins Feuer gegangen, nicht etwa, um den armen Hund zu retten, der übrigens ein prima Tier war, sondern wegen der Bücher, aber er hat nur die Njáls- und die Grettissaga gerettet.
    Das hätte doch gepasst, wenn die Njála verbrannt wäre, sagt der Junge.
    Er hat sich von dem ganzen Rauch nie wieder erholt, sagt Bjarni, und ist wenige Jahre später gestorben. Die verfluchten Bücher haben ihn umgebracht, sagte Mama dazu.
    Der Junge: Liest du?
    Bjarni: Es ist eine Unsitte.
    Der Junge: Aber du liest trotzdem.
    Bjarni: Wir müssen uns beeilen.

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