Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)

Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)

Titel: Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
Vom Netzwerk:
Die Windstille hält nicht lange, bald kommt die nächste Schlechtwetterfront.
    Aber es ist doch Frühling, um Himmels willen!, ruft der Junge vorwurfsvoll.
    Wo liegt sie?, erkundigt sich Jens.
    Bjarni: Draußen in der Räucherkammer.
    In der Räucherkammer?, fragt der Junge ungläubig, worauf Jens ihm einen Blick zuwirft, der besagt, dass er jetzt bloß den Mund halten soll.
    Bjarni: Ich habe es nicht über mich gebracht, sie draußen ins Freie zu legen. Sie hätte unter dem ganzen Schnee verloren gehen können. Es war die einzige Möglichkeit.
    Jens: Dann lass uns gehen. Wir müssen vor dem nächsten Sturm oben auf dem Berg sein. Ich nehme Hjalti und den Jungen mit.
    Bjarni schüttelt den Kopf. Dafür taugt er nicht. Dazu braucht es kräftige Männer.
    Jens: Er ist gar nicht so schlapp, wie er aussieht. Wenn’s drauf ankommt, ist das Kerlchen sogar richtig zäh, quatscht nur zu viel. Aber dein Platz ist hier, deine Kinder sind jetzt ohne Mutter.
    Bjarni hat sich hingesetzt und bleibt sitzen, als die beiden sich erheben. Er sieht aus, als sei er um zehn Jahre gealtert, der Junge aber hat seine Schwäche überwunden, er ist jetzt bereit, er will es noch einmal mit den Bergen aufnehmen, und wenn es zehn sein sollten und hundsgemeine obendrein.
    Die Luft ist fast weiß vor Licht und füllt einen Himmel, an dem die Sonne hinter den Wolken glost. Das Eismeer breitet sich aus wie die Ewigkeit selbst, atmet schwer ein und aus, die Wellen brechen sich irgendwo weiter unten an den Felsen. Jens vermeidet es, hinzusehen, aber der Junge entdeckt ein Spill an der Felskante und weiß, sie werden das Boot also abseilen und später wieder in die Höhe hieven müssen, wenn es unten wegen der Brandung nicht sicher liegen kann. Das wird eine elende Schufterei, denkt er und hält nach dem Boot Ausschau, sieht aber nichts als Schnee. Jens rückt die Posttaschen zurecht, jede vielleicht zehn Kilogramm schwer, oder auch fünfzehn, die Zeitschriften für Bjarni waren tatsächlich darin. Nellemann kommt angelaufen, bleibt vor Bjarni stehen und blickt mit hängender Zunge voll Eifer zu ihm auf. Guter Hund, sagt Bjarni gutmütig, und die Hündin setzt sich mit einem Ausdruck in den Schnee, als habe sie einen Orden bekommen. Hjalti und die Kinder sind ein ganzes Stück von ihnen entfernt damit beschäftigt, Schneemänner zu bauen, eine ganze Familie, in der alle Mitglieder am Leben sind. Hjalti rollt eine große Schneekugel vor sich her und trägt dabei den Kleinsten wie einen Beutel unter den Arm geklemmt.
    Die Kinder trauen sich nicht näher an die Gäste heran. Sie bleiben in sicherem Abstand und starren zu ihnen herüber. Steinólfur kaut auf seinem Wollfäustling, Hjalti hält Sakarías, gibt ihn dann Þóra weiter und sagt: Wir gehen jetzt.
    Geht ihr ins Haus, sagt Bjarni zu dem Mädchen.
    Aber Papa, es ist so hell und schön draußen!, ruft Steinólfur.
    Tatsächlich, sagt Bjarni und schaut um sich, als würde er es erst jetzt feststellen.
    Ich will mit Hjalti draußen spielen, meint Beta, ohne Jens und den Jungen aus den Augen zu lassen. Besucher bleiben meist nur kurz und kommen selten wieder, sie wird also wohl kaum noch einmal Gelegenheit bekommen, die beiden Männer zu betrachten.
    Sie werden eure Mama mitnehmen, sagt Bjarni so entschieden, als würde er sich im Grunde dafür schämen. Beta guckt nun doch von den Besuchern zu ihrem Vater: Wohin mitnehmen?
    Auf den Friedhof natürlich, sagt ihre Schwester.
    Sie soll aber nirgendwo hingehen, das darf sie nicht, dann kommt sie nie wieder!
    Sie ist schon von uns gegangen, sagt Bjarni und setzt zögerlich hinzu: mein Mädchen.
    Ich will Mama sehen, sagt Steinólfur, nachdem er den Handschuh aus dem Mund genommen hat, und da fängt der Jüngste an zu schreien, vielleicht vor Kälte, vielleicht auch nicht.
    Geht ins Haus, ordnet Bjarni streng an, und das ältere Mädchen setzt sich mit dem kleinen Schreihals in Bewegung, die anderen folgen widerwillig.
    Und du hältst dich vom Schnaps fern!, sagt Bjarni zu Hjalti, als sie auf die Räucherkammer zugehen.
    Du wirst ja auf mich aufpassen, gibt Hjalti zurück.
    Sie gehen Seite an Seite, und neben dem großen, kräftigen Knecht wirkt der Bauer alt und gebrochen.
    Ich bleibe hier, sagt er.
    Was?
    So ist es abgesprochen. Ich bleibe bei den Kindern. Es ist schon schwer genug für sie.
    Teufel auch, macht Hjalti.
    Die kleine Hütte ist schon wieder unter dem Schnee verschwunden, obwohl sie sie regelmäßig freigeschippt haben, das letzte Mal erst

Weitere Kostenlose Bücher