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Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)

Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)

Titel: Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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jetzt stellt alles in den Schatten, jetzt ist es ein Brüllen aus der Hölle. Sie gehen und sie kriechen voran, Schritt für Schritt, den schweren Sarg im Schlepptau. So nähern sie sich vermutlich einem Fjord und einem winzigen Ort, in dem es Ruhe geben wird, ein Bett, eine Kirche mit einem Friedhof für Ásta, und vielleicht ist dort auch eine lebende Frau namens Bóthildur, wer weiß?
    Ich glaube nicht, schreit Hjalti. Sie haben unter einem großen Felsen angehalten und schöpfen Atem, legen die Nasenlöcher von Eis frei, fühlen sich elend vor Müdigkeit, Hunger und quälendem Durst. Ich glaube nicht, dass sie da ist. Manchmal glaube ich, es hat sie nur in einem Traum gegeben. Und wenn sie doch da sein sollte, dann wird sie ganz sicher nicht auf mich warten, so abgrundtief verzweifelt kann sie gar nicht sein. Die Leute im Ort haben mich schon erlebt, wie ich mich aufführe, wenn ich den Kanal voll habe, und das reicht, um sämtliche Frauen der Welt abzuschrecken, bis auf die, die selbst von einem schlimmen Schicksal gezeichnet oder vom Teufel gebissen sind wie ich. Wer mich schon mal besoffen erlebt hat, der hat in einen der Schlammpfuhle der Hölle geblickt. Satan, Satan, Männer, wenn ich Bóthildur sehen sollte, würde ich sofort wegrennen, und zwar, um sie zu retten, Männer, um sie zu retten!
    Der verdammte Alkohol!, ruft Jens.
    Der gottverdammte Alkohol!, ruft Hjalti.
    Der dreimal verfluchte Alkohol!, ruft Jens.
    Der Sturm heult um die Männer, die im Schutz eines Felsens kauern, und zwei von ihnen brüllen Verwünschungen und Flüche auf den Schnaps in den Orkan, sie schreien ihre Wut, ihre Trauer, ihre Ohnmacht hinaus, auf dieses verfluchte Zeug, das sie mit Gewalt besudelt, mit Treuebrüchen, Sünde und Feigheit, und das Dämonen in ihnen weckt.
    Von diesem Mistzeug habe ich einen schwarzen Flecken auf meinem Herzen, kreischt Hjalti, und Jens sieht ihn mit einem irren Blick an, der Junge aber gibt es auf, den zusammenhanglosen Schreien seiner Gefährten noch folgen zu wollen; er lehnt sich gegen den Sarg und schließt die Augen. Ihm ist überall kalt, und einzuschlafen wäre das Schönste auf der Welt, kurz sieht er sogar den Schlaf hinter dem wahnwitzigen Toben, mild wie Sonnenschein und Ruhe, aber ein Rippenstoß von Jens holt ihn unsanft zurück, ganz schnell reißt er die Augen auf, und das Dröhnen des Sturms fällt wieder über ihn her. Hjalti warnt sie gerade vor einer Schlucht, die hier irgendwo rechts von ihnen liegen muss, so tief, dass sie das Dach der Hölle anritzt und in den letzten hundertfünfzig oder zweihundert Jahren nicht weniger als elf Menschen verschluckt hat. Die beiden letzten waren allerdings Norweger und werden deswegen selten mitgezählt.
    Eine Geschichte besagt, schreit Hjalti, um den Sturm zu übertönen, dem es nicht passt, wenn ein anderer als er das Wort führen will; hier erzählt er die Geschichten. Aber Hjalti hat auch eine kräftige Stimme, und er rückt dicht an die beiden anderen heran, um sich verständlich zu machen. Eine Geschichte besagt, dass sich in einem Herbst eine junge Mutter mit ihrem toten Kind im Arm aus Verzweiflung in die Tiefe gestürzt hat, wo die Schlucht am tiefsten ist. Sie war Magd, und es heißt, der Bauer habe sie missbraucht und geschlagen und damit gedroht, ihr das Kind wegzunehmen, wenn sie ihm nicht gefügig sein wollte. Was aber ist eine Mutter ohne ihr Kind? Sie ließ alles über sich ergehen. Die Leute auf den umliegenden Höfen und natürlich die auf dem Hof selbst wussten davon oder haben es sich wenigstens gedacht, aber der Bauer war einflussreich in der Landgemeinde, angesehen, beliebt und knüppelhart. Die Leute haben ihn für seine Härte gefürchtet und aus dem gleichen Grund respektiert und bewundert, und sie haben weggeguckt, um seine Vergehen nicht zu sehen. Der Mensch kann das allermeiste vergessen oder es verleugnen, indem er sich abwendet, und es ist fast immer einfacher, wegzusehen, als hinzugucken, denn wer hinguckt, muss zu dem, was er sieht, Stellung beziehen und womöglich einschreiten. Das Kind starb. An Diphtherie, haben die meisten gesagt und genau gewusst, dass es eine Lüge war. Der Dreckskerl von Bauer hatte zu hart zugeschlagen, als das Kind versucht hat, seine Mutter zu verteidigen. Stellt euch das vor, Jungs, ein fünf- oder sechsjähriges Kind! Sie hat sich mit ihm in der Herbstnacht davongestohlen. Es stürmte und schüttete wie aus Kannen, doch die Magd lief zu einer kleinen Kate, in der eine Bekannte von

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