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Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)

Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)

Titel: Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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Fensterscheibe stehen und Jesus am Kreuz sehen, nur undeutlich natürlich, denn es ist ziemlich dunkel in dem Raum und man kann so gerade den Altar erkennen und eine kleine Kanzel voller Schnee. Die Predigt zum Tage ist weiß und kalt.
    Das hier ist eine Kirche, sagt der Junge, als habe er soeben eine wichtige Entdeckung gemacht.
    Ja, macht Jens nur, denn es ist absolut richtig, eine Kirche zwischen all diesen Fischerhütten und Trockenschuppen, eine Grassodenkirche mit Plätzen für zwölf Personen; eine passende Zahl, denn es gab auch zwölf Apostel. Keine Kirche sollte größer sein. Zweimal im Jahr kommt der Pfarrer aus Vík und erzählt etwas von Gott, aber nie im tiefsten Winter, dann predigt nur der Schnee von der Kanzel und der Sturm auf dem Dach. Eisige Stürme aus Nordost, die verharschten Schnee und ganze Schneebretter aufreißen, übersteht die Kapelle mehr schlecht als recht, es drückt schon einmal die Scheiben ein und das Dach biegt sich unter der Last des Schnees, und im Winter sieht das Gebäude aus wie ein blinder alter Mann, den die Zeit allmählich in die Erde sinken lässt. Aber gewiss sind Gottes Wege unerforschlich; wären sie nicht auf die Kirche gestiegen und wäre der Junge nicht hineingefallen und hätten sie einander nicht wie verlorene Seelen in der übergroßen Welt gerufen, dann wären sie auf der Suche nach dem Licht, von dem die Fischer geraunzt hatten, wahrscheinlich endlos zwischen den Hütten umhergeirrt, sie wären immer müder geworden und immer weiter ausgekühlt, die Posttaschen wären mit jedem Schritt und jeder Minute schwerer geworden, und Jens’ Herz wäre ermüdet, der Angriff der Kälte hätte immer mehr Wirkung gezeigt; der Winter und die weiße Farbe hätten sie in die Irre geführt, sie wären aus der verstreuten Siedlung gestolpert und umgekommen. Die Kirche aber brachte den Jungen zu Fall, sie fanden sich durch Zurufe wieder, und wenig später kam noch ein Dritter hinzu, der sich als der gesuchte Jónas herausstellte, Postbeauftragter an der Winterküste und Oberhaupt der kleinen Gemeinde dort.
    Ich habe die Stimmen nicht erkannt, erklärte er, während er sie zu seinem Haus ganz in der Nähe der Kirche führte. Sie sahen das Licht im Fenster, als Jónas sie darauf hinwies. Die Ungläubigen sehen das Licht selten ohne Nachhilfe. Nein, diese Stimmen gehörten keinem hier aus dem Ort noch sonst einem von der Küste, und glaubt mir, ich kenne sie alle hier, darum dachte ich mir gleich, da müssen ein paar Verirrte unterwegs sein, aber wer ist bei solchem Wetter schon unterwegs, fragte ich meine Frau und gab mir wie üblich selbst die Antwort: Das kann doch nur der Landbriefträger sein. Tretet ein!
    Erleichtert werfen sie die Taschen ab, kratzen und klopfen den Schnee von den Schuhen. Das Haus hat zwei Stockwerke und ist aus Holz gebaut, und bei Sturm knarrt es so gemütlich darin wie in einem Schiff, sagt Jónas. Wie in einem Schiff, meine tüchtigen Jungen. Geht ins Wohnzimmer, da ist es warm und hell wie im Himmelreich.
    Vielleicht ist es in der Hölle auch warm und hell, denkt der Junge. Petroleumlampen erhellen den Raum, eine große Frau sitzt dicht beim Kamin und gähnt.
    Es ist der Briefträger, genau wie ich dir gesagt habe, meine Liebe. Und ihr wolltet also auf die Heide oben auf dem Berg, Jungs, ts, ts, zurzeit ist die Gute aber gar nicht gut gelaunt, zeigt sich heute nicht von ihrer feinsten Seite. Jónas breitet bedauernd die Arme aus, und sie wissen nicht, ob er von dem Bergplateau oder von seiner Frau redet, die noch einmal gähnt, ein finsteres Gesicht macht und kaum ihren Gruß erwidert. Schwerfällig erhebt sie sich und geht aus dem Zimmer.
    Ja, ja, jetzt gibt’s erst mal was zu essen, verkündet ihr Mann. Euch ist kalt, und ihr seid hungrig, an solchen Tagen ist einem kalt, und man ist hungrig, ich bringe euch Licht, Wärme und Essen. Das ist übrigens meine Ingibjörg, setzt er in dem Moment noch hinzu, in dem seine Frau den Raum verlässt.
    Jens holt eine der Taschen und packt die Briefe und Sendungen aus, die hierbleiben sollen, und Jónas blättert sie eifrig durch, während Jens und der Junge essen, während sie Nahrung aufnehmen und genussvoll spüren, wie sich ihre Körper am Kamin aufwärmen. Jónas sortiert die Zeitungen und studiert die Adressen auf den Briefumschlägen, die aus der Tasche auftauchen, spricht halblaut die Namen der Empfänger vor sich hin, viele Briefe sind es nicht, bloß sechs Stück, einer berichtet von einem Todesfall,

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