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Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)

Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)

Titel: Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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ein anderer von Untreue, der dritte: Ich vermisse Dich, vermisse Dich, vermisse Dich. Der vierte erzählt von Brustschmerzen und angebrannter Grütze. Der fünfte: Die Kinder sind schwierig, Siggi ist faul, und wann bekommt man endlich mal Post von dir? Der sechste ist so lebensfroh, dass Jónas deutlich ein Kribbeln in den Fingerspitzen fühlt.
    Dann haben sie fertig gegessen, der Körper ist wieder warm, und Jens will los, vor Einbruch der Nacht noch Vík erreichen.
    Bei dem Wetter?, sagt Jónas und ist so erstaunt, dass er seine Geschichte unterbrechen muss. Es ist wahrscheinlich die zehnte, die er ihnen beim Essen auftischt.
    Bist du wirklich sicher, dass sich der Berg und die Höhe heute über Gesellschaft freuen?
    Jónas ist klein, reicht Jens gerade bis zur Brust und hebt sich in regelmäßigen Abständen auf die Zehenspitzen, ganz kurz nur, wie um ein wenig an Länge zuzulegen und der Welt zu zeigen: In Wahrheit bin ich so groß.
    Ingibjörg hat wieder am Kamin Platz genommen, sobald die beiden Besucher aufgestanden sind, sie nickt, als sie sich fürs Essen bedanken, schaut sie aber nicht an, sondern rückt bloß dicht an den Ofen und saugt die Wärme an, mit der das Leben vielleicht zu sparsam umgeht. Der Junge mustert verstohlen ihre säuerliche Miene, die Lider senken sich schon über ihre großen Augen, Jónas schwätzt und schwätzt und schwätzt, die Hochheide dies, der Berg das, er möchte, dass sie bleiben, den Sturm hier schlafend abwettern. Ja, ja, wir werden schon ein Gesprächsthema finden, es gibt so viele Geschichten auf der Welt. Einmal gab es hier, sage ich euch, in der allernördlichsten Gegend eine Frau, die ein Medikament besorgen musste. Ihr Mann hatte dermaßen Zahnschmerzen, dass er flachlag und sonst nichts tun konnte. Sein Gesicht war dick angeschwollen, also liegen konnte er eigentlich auch nicht. Andere Männer waren nicht in der Nähe, die waren alle auf See, und Kinder gab es auch, zehn Stück, alle noch klein, das älteste gerade mal elf oder zwölf und das jüngste entsprechend, ihr versteht. Draußen schreckliches Wetter, absolut kein Wetter für die Berge und eine hundsgemeine Kälte, und obendrein stillte die Frau noch! Ihr wisst hoffentlich, was das bedeutet, eine Frau mit Milch in den Brüsten verträgt Kälte nur schlecht, sie muss aufpassen, es ist lebensgefährlich, mitten im Winter auf die Berge zu steigen, versteht ihr. Der Weg zum Arzt bedeutete mindestens fünfzehn Stunden Fußmarsch und, wartet mal …
    Jens nutzt das kurze Stocken sofort aus, diesen Stau in seinem Wortfluss, er sagt: Wir haben keine Zeit zu verlieren. Wo steht denn das Pferd?
    Als sie hinausgehen, ist die Frau am Ofen fest eingeschlafen.

V
     
    Du darfst uns ruhig glauben, wenn wir sagen, dass die Hochheiden hier im Sommer wirklich schön sind, anheimelnd geradezu, wenn die Bekassine durch die Luft schießt, Regentropfen an den Halmen hängen, ein Bach leise zwischen grasbewachsenen Ufern strömt, die Wiesenhöcker sich strecken wie schlafende Hunde und sämtliche Töne irgendwie in Stille zu münden scheinen. Wer bei Sonnenschein an einem ruhigen Sommertag über die Heiden wandert, kann den Eindruck bekommen, er wandele in der Ewigkeit. Ebenso gibt es stille und verträumte Winternächte mit Mond und tausend Sternen, die über dem Land funkeln wie alte Gedichte, doch solche Pracht und solches Wetter gehört einer anderen Welt an, einem anderen Sonnensystem, als Jens und der Junge die Ansammlung von Fischerhütten verlassen und unter ihren Füßen spüren, wie das Land allmählich ansteigt.
    Der Junge sieht oft nicht viel mehr als Schnee und manchmal seinen eigenen Arm oder das Hinterteil des grauen Pferds, das Jens dort vorn in dem pfeifenden Schneefegen, mit dem der Wind sie überschüttet, hinter sich herführt. Sie kneifen die Augen zusammen und müssen die Köpfe abwenden, wenn sie Luft holen wollen, denn atmen muss der Mensch, sonst stirbt er, das ist die schlichte Voraussetzung zum Leben. Die Stute, zehn Winter alt, war den Menschen alles andere als dankbar dafür, dass sie bei diesem Wetter vom Heu weg aus dem Stall geholt wurde.
    Ein bisschen störrisch, die Graue, hatte Jónas gesagt.
    Und wie heißt die Gute?
    Habe ich schon gesagt, die Graue. Sie kennt das Hochland, die Berge und das Wetter hier; ihr solltet auf sie hören und bis morgen warten.
    Jens erwiderte nichts, befestigte die Posttaschen an der Stute, dann durfte Jónas, Postbeauftragter der Winterküste und Oberhaupt der

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