Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)
meine, du nicht, nein, überhaupt nicht … Manchmal könnte man allerdings glauben, ich wäre dumm, ich meine …
Willst du, dass ich dir eine reinhaue?
Lieber nicht.
Dann antworte mir!
Was denn?, fragt der Junge. Ich meine, ich weiß gar nicht, worauf ich dir antworten soll. Warum bist du überhaupt so wütend?
Jens hebt den Jungen so hoch, dass seine Füße in der Luft baumeln, ein Schaf meckert los, zweimal kurz mäh, mäh. Seht euch das an, will es vielleicht sagen. Da lässt Jens den Jungen so plötzlich los, dass er auf den Heuballen fällt und zur Seite rollt. Als er wieder aufguckt, ist Jens ein paar Schritte zurückgetreten, steht vorgebeugt da, atmet tief und sagt schließlich: Wie ich mich angestellt habe.
Wie du dich angestellt hast?, wiederholt der Junge und setzt sich auf.
In dem Kahn, sagt Jens.
Der Junge überrascht: Was meinst du?
Mein albernes Benehmen, sagt Jens, meine Feigheit. Warum hast du keinem davon erzählt?
Warum, um alles in der Welt, hätte ich das tun sollen, wundert sich der Junge erleichtert, weil es nur darum geht. Was gäbe es denn da zu erzählen? Solche Dinge passieren einfach, die Menschen sind verschieden. Warum sollte ich darüber reden?
Aus einem Abstand von vielleicht zwei, drei Metern sehen sie sich an; zweiundvierzig Augen sehen sie an.
Ich habe mich gar nicht ordentlich für das bedankt, was du getan hast, sagt Jens dann ruhig.
Das ist nicht nötig, sagt der Junge und glaubt nicht länger, dass es gefährlich ist, wenn er aufsteht. Außerdem hast du mir auch das Leben gerettet, drei Mal sogar, sagt er.
Das Leben?, staunt Jens, als hätte er dieses geheimnisvolle Wort noch nie gehört. Na ja, es ließ sich nicht vermeiden, du hast da im Schnee gelegen; das ist doch nicht retten, sondern bloß Beinemachen. Außerdem hast du da nur deshalb gelegen, weil ich keine Rücksicht auf dich genommen habe. Was ich sagen wollte, ich will dir jedenfalls danken für das, wovon ich eben gesprochen habe, und ich will mich für mein Verhalten gerade eben entschuldigen, dafür muss ich mich schämen. Ich habe mich schon zwei Mal vergessen, jetzt werden wir uns trennen.
Was?, entfährt es dem Jungen, denn womöglich hat der Lärm des Sturms dafür gesorgt, dass er sich verhört hat. Uns trennen? Ja, ganz einfach: Jens will in die eine Richtung, der Junge soll in die andere gehen. Das nennt man sich trennen, und vorher sollte man sich voneinander verabschieden. Leb wohl!
Ich übernehme natürlich die Tasche, die du getragen hast.
Ich begreife das nicht, sagt der Junge.
Ganz einfach, erklärt Jens, ich helfe dir, den Hof zu finden, zu dem dieser Stall hier gehört, und wenn sich der Sturm gelegt hat, machst du dich auf den Rückweg, gibst Jónas die Graue zurück und Marta und Ágúst den Kahn, und lass dir zumindest für den Weg über die Hochheide jemanden mitgeben. Oder schaffst du es allein nicht mit dem Kahn?
Doch, antwortet der Junge bloß, erleichtert, dass er in diesem grauenhaften Wetter nicht weitermuss, dass er die Gesellschaft dieses Postboten nicht länger auszuhalten braucht, obwohl Gesellschaft kein Wort ist, das irgendwie zu Jens passen würde; also gut, selbst wenn er ein oder zwei Tage auf diesem Hof absitzen muss, was für ein Hof es auch immer sein mag; vielleicht wird es unsagbar langweilig, man weiß nie, was einen in einem fremden Haus erwartet, Stumpfsinn oder Abenteuer, vielleicht helle Augen und Poesie, überhaupt, was soll’s, ob es nun dumpf oder langweilig wird, es sind schon mehr als zwei Tage Langeweile nötig, um jemanden umzubringen. Jens hat sich beide Taschen umgehängt. Ruhe strahlt von diesem großen Mann aus. Er lässt den Blick über die Schafe und den Hammel schweifen, die wie aus einem Guss die beiden Menschen beobachten, als würden sie auf etwas warten, das noch in der Luft liegt, das noch unausgesprochen ist.
Warum?, fragt der Junge dann auch, und der Briefträger verliert seine gesamte Ruhe.
Ich will zu Fuß gehen, gibt er schnell zurück und schaut den Jungen scharf an, als wolle er ihn ermahnen, sich zurückzuhalten und nicht zu widersprechen.
Zu Fuß gehen, wiederholt der Junge. Meinst du den ganzen Weg bis zum Langafjörður?
Genau.
Das ist aber weit.
Drei Tage. Nennst du das weit?
Mit dem Boot wären es zwei Tage weniger, wendet der Junge ein.
Zwei Tage, sagt Jens. Was ist das schon?
Musst du nicht den Zeitplan einhalten?, fragt der Junge.
Ich muss vor allem am Leben bleiben, erwidert Jens.
Die Überfahrt mit dem
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