Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition)
»Sie haben ein Täterprofil erstellt, ist das richtig?«
»Das ist korrekt«, antwortete Fran.
»Gut. Bitte tragen Sie es vor, aber nur Ihre Ergebnisse und keine Einführung in die Problematik der Operativen Fallanalyse. Ich bin durchaus in der Lage, mir selbst ein Urteil zu bilden.«
Fran schluckte und erhob sich.
Rowald seufzte. »Sie können sitzen bleiben, Frau Miller. Wir sind hier nicht vor Gericht, die Herren Anwälte versuchen mich mit diesen dramatischen Gesten zu beeindrucken, was ihnen regelmäßig misslingt.«
Fran ließ sich auf ihren Stuhl plumpsen und unterdrückte ein Grinsen. »Wir …«
»Wer ist ›wir‹?« Rowald hob die Augenbrauen.
»Das Spezialistenteam Operative Fallanalyse des LKA .«
Rowald nickte, Fran spulte das Profil ab, sie brauchte nur wenige Minuten dafür.
»Ich danke Ihnen, Frau Miller, für die knappe und sehr aufschlussreiche Zusammenfassung. Damit scheidet Herr Rüttgen als Serientäter aus, nicht wahr?«
Dagegen konnte Fran nichts einwenden. Aber sie war nochnicht fertig. Sie hielt es für nicht akzeptabel, dass Rüttgen auf die Menschheit losgelassen wurde. »Das stimmt, ja. Aber Günther Anleder, unser Experte für klinische Psychologie, und ich sind der Auffassung, dass Lars Rüttgen unter einer schweren paranoiden Schizophrenie leidet, Herr Rowald, und Anleder ist der Auffassung, Rüttgen müsse unter Beobachtung gestellt werden.«
Bevor Rowald antworten konnte, sprang Jung wieder von seinem Stuhl auf, wie von einer Stahlfeder getrieben, und stieß mit seinem Zeigefinger in Frans Richtung. »Alle Ermittlungsbehörden haben sich gegen meinen Mandanten verschworen. Die Haftprüfung platzt, also ziehen Sie die Psycho-Karte. Weder Franziska Miller noch Günther Anleder sind vereidigte Gutachter. Ihre Meinungen sind vollkommen wert- und wirkungslos. Ich bin restlos entsetzt! Vor allem, weil sich dieser angebliche Experte unter falschem Namen bei meinem Mandanten einschleichen wollte, um ihm eine Information zu entlocken. Das geht zu weit!« Den letzten Satz schrie Jung fast.
Rowald lief rot an. »Ist das korrekt, Herr Kittner?«
»Das ist korrekt und im Rahmen einer Mordermittlung durchaus zulässig«, erwiderte Kittner kleinlaut. »Es war keine Täuschung während einer Vernehmung, sondern ein Fall von verdeckter Ermittlung, Strafprozessordnung Paragraf …«
»Schweigen Sie!«, polterte Rowald. »Glauben Sie mir, ich werde mir jeden einzelnen Buchstaben noch mal genau ansehen. Gibt es ein echtes Gutachten zum Geisteszustand von Herrn Rüttgen?«
Kittner schüttelte den Kopf, Jung grinste.
Rowald schlug mit der Faust auf den Tisch. »Das alles ist unsäglich! Es ergeht folgender Beschluss: Lars Rüttgen wird augenblicklich aus dem Gewahrsam entlassen. Allerdings unter der Auflage«, er zeigte auf Jung, »dass er Düsseldorf nichtverlässt, sich einem psychologischen Gutachten unterzieht und sich bis zur Klärung der Vorwürfe einmal am Tag bei der zuständigen Polizeistelle meldet.«
Jung deutete eine Verbeugung an, Kittner rauschte aus dem Raum, Frans Puls raste.
Immerhin hatte der Richter ein Gutachten angeordnet. Aber Fran machte sich keine Hoffnungen. Sie hatte beide Gesichter von Rüttgen kennengelernt: den Hohepriester und den braven Jungen. Beide Rollen beherrschte er perfekt, und sie wusste, wie einfach Gutachter zu täuschen waren, vor allem, wenn sie nicht genug Zeit hatten. Rüttgen war gefährlich, daran zweifelte Fran nicht eine Sekunde.
Sie verließ das Gericht auf der Rückseite durch den Nebenausgang, stieg auf ihr Fahrrad und beschloss, kurz nach Hause zu fahren, um sich zu duschen. Sie fühlte sich schmutzig und verschwitzt.
Auf ein Rennen mit der 712 verzichtete sie, kettete ihr Fahrrad an eine Laterne. Sie hörte ein Geräusch, dann fühlte sie einen Stich im Arm. Bevor sie sich fragen konnte, was gerade passierte, wusste sie nichts mehr.
*
»Fran!«
Wer schrie da so? Was sollte das? Konnte man denn nicht einmal ausschlafen? Sie war so müde, unendlich müde.
»Fran, wach auf!«
Fran wollte nicht aufwachen. Sie hatte geträumt, von Albi, und es war ein schöner Traum gewesen. War das nicht seine Stimme, die sie hörte? Warum war er in ihrem Schlafzimmer? Hatte sie ihn schon verführt? Hatte sie so viel getrunken, dass sie sich an nichts erinnern konnte? Erinnern? Woran konntesie sich erinnern? Bilder flackerten. Sie wollte nach Hause. Ein Stich im Arm. Dann nichts mehr. Nur der Traum. Ansonsten Schwärze. Tiefe Nacht.
»Fran,
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