Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition)
Fran.«
Vorerst zumindest. Aber wenn überhaupt, würde Erik keine allzu lange Gefängnisstrafe erhalten. Wenn sie Glück hatte, würde ein Gutachter ihn einweisen lassen, und wenn sie ganz viel Glück hatte, würde Erik eine Therapie machen und wieder gesund werden. Ansonsten würde er zeit seines Lebens eine Bedrohung für sie darstellen. Auf jeden Fall war ihre Entscheidung, alle Karten auf den Tisch zu legen, die richtige gewesen. Erik war ihr zuvorgekommen, aber das spielte keine Rolle. Ob er sie schon angezeigt hatte? Ihr Kopf schien mit Watte gefüllt zu sein, aber ihre Gedanken klarten immer mehr auf.
»Du kannst aufstehen?«, fragte Senior, und sein Ton verriet, dass er genau das erwartete. »Wenn nicht, dann hätte ich etwas, dass deine Genesung extrem beschleunigen wird.«
Fran schwang die Beine aus dem Bett, drückte sich von der Bettkante ab und stöhnte. So musste es sich anfühlen, wenn man achtzig Jahre alt war. Sie ging in die Knie, winkte aber ab, als Albi sie stützen wollte. Sie atmete ein und stemmte sich hoch, das brachte ihr Blut wieder etwas in Schwung, denn die K.O. -Tropfen ließen den Kreislauf in den Keller fallen. Bei falscher Dosierung wachte das Opfer nicht mehr auf.
»Nun rede schon, Senior!« Sie machte ein paar Rumpfbeugen; bei der ersten fiel sie fast vorneüber.
»Wir haben einen Treffer. Der Mann heißt Friedel Frenzen, arbeitete bei einem Getränkehandel, bis er vor knapp einer Woche schriftlich die Kündigung einreichte, weil er angeblich an einer tödlichen Krankheit litt und die letzten Monate im Süden verbringen wollte.«
Fran schlug sich mit der Faust in die Hand. Inzwischen hatte sie zehn Rumpfbeugen gemacht und fühlte sich schon wieder wie ein normaler Mensch. »Worauf warten wir? Weiß Kittner schon Bescheid?«
Senior schürzte die Lippen. »Er erwartet uns.«
*
»Nicht schlecht«, sage ich zu dem Jungen, der vor mir auf dem Tisch liegt und nach Angstschweiß stinkt. »Das war ein Rekord! Selbst mein Favorit, Friedel, den du nicht kennst, hatdiesen Schalldruck nicht geschafft. Und das mit nur einem klitzekleinen Elektroschock. Bemerkenswert.«
Ich habe den Kleinen am Bahnhof aufgegabelt. Ein Ausreißer, ein Stricher, ein Fixer. Optimal. Ich habe ihm einen Hunderter vor die Nase gehalten, und er konnte gar nicht schnell genug in meinen Wagen springen. Es war gar nicht so einfach, ihn davon abzuhalten, mir sofort einen zu blasen. Einen Moment lang habe ich mit dem Gedanken gespielt, es auszuprobieren, aber ich musste an Engel denken, und sofort verging mir die Lust an dem Strichjungen. Ich will sie zuerst. Mein Körper will sie. Und dann Fran. Meine Seele will Fran. So wird es sein. Meine Kräfte sind wieder zurückgekehrt, und ich fühle mich besser als je zuvor. Niemand kann mich aufhalten. Deus Sonor ist unfehlbar.
Ich rücke mir die Maske zurecht. Meine Sammlung ist fast komplett. Schon mehr als fünfhunderttausend Mal sind meine Werke angeklickt worden. Die Menschen fühlen, dass sie teilhaben an einer großen Sache, an etwas, das über ihre eigene armselige Existenz hinausgeht, sie spüren den göttlichen Atem. Das fühlt sich besser an, als ich gedacht habe. Ich bin Deus Sonor!
Und der Bubi hier vor mir hat mir nicht nur den Dezibelrekord geliefert, er wird auch dafür sorgen, dass Fran endlich meine anderen Botschaften versteht. In den Nachrichten haben sie gemeldet, dass dieser Rüttgen wieder frei ist, weil Fran ihn für unschuldig hält, zumindest, was meine Gäste angeht. Alle Achtung! Ich wusste doch, dass sie kein gewöhnlicher Mensch ist. Ihr Täterprofil ist erstaunlich genau, wenn auch etwas ausgeschmückt mit Psycho-Geschwätz. Und in einer Sache irrt sie: Ich empfinde keinerlei Lust, wenn ich mit meinen Gästen arbeite, im Gegenteil, manchmal stelle ich mir sogar vor, ich könnte sie verschonen, und der Gedanke ist gar nicht so furchtbar. Aber sie kann sich in mich hineinversetzen, sie kann denken und fühlen wie ich, wir sind füreinander geschaffen, das steht fest. Ob sie herausfindet, was mich und Rüttgen verbindet? Ich darf ihr nicht zu viel verraten. Muss vorsichtig sein.
Es wird Zeit. Ich nehme meine Maske ab.
Der Junge fängt an zu weinen. Er versteht.
»Du musst jetzt sterben, mein Kleiner«, sage ich. »Es tut mir leid, aber es geht nicht anders. Es tut auch gar nicht weh, und dann hast du es hinter dir, dann musst du keinem mehr den Schwanz lutschen, und du musst nicht mehr zitternd in der Ecke hocken und kotzen, weil du deinen
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