Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition)
durchgeschnitten.«
»Absolut korrekt«, brummte es von hinten.
Fran musste sich nicht umdrehen. Es war Bruno.
»Er ist angepisst«, sagte er. »Oder er hatte es eilig. Das zweite Opfer, das er uns vor die Tür legt. An einem Gewässer.«
»Genauso wie Helena Meier.« Fran überlegte einen Moment. Schlagartig wurde ihr klar, dass sie nichts mehr ausschließen durften. Im Gegenteil. Dieser Täter hatte zwar eine Handschrift, aber er war intelligent genug, sich zu verstellen, er warein Chamäleon, er beherrschte die Mimikry perfekt. Vielleicht hatte er Johanna Magold doch getötet. Vielleicht war es doch ein Team. Wo war Rüttgen?
Fran fokussierte die Linien, blinzelte mit den Augen. Wieder begannen sie zu schwimmen, und diesmal ergaben sie einen Sinn, zusammen mit den Mustern der anderen Rücken. Konnte das möglich sein? Bevor sie die Pferde scheu machte, musste sie sicher sein.
»Haben wir Intranet-Zugriff?«, fragte sie, ohne die Augen von dem misshandelten Körper zu nehmen.
»Sicher«, antwortete Senior und deutete auf einen Lieferwagen. »In der Leitstelle.«
»Ich brauche ein Foto, senkrecht von oben.«
»Ist alles schon im Kasten.«
Fran lief los, enterte die Leitstelle, besetzte einen Rechner.
Bruno kam schwer atmend hinterher, stellte sich hinter sie. »Es sind Zahlen, nicht wahr?«
Fran nickte anerkennend und lud sich die anderen Muster der Rücken auf den Rechner, isolierte die Linien, blendete die satanischen Symbole und die Hieroglyphen aus, die nicht ins Muster passten. Sie rief das grafische Analyseprogramm auf, das die Linien einzeln erfasste, sie separieren und in verschiedenen Ebenen anzeigen konnte.
Es waren insgesamt einundneunzig Elemente, verteilt auf drei Rücken: Bredows, Meier und jetzt dieser junge Mann. Sie schob die Ebenen übereinander. Auch wenn die Schrift verzerrt war und manchmal schief und schlecht zu lesen, die Botschaft war eindeutig. In alter digitaler eckiger Schrift, so wie auf den ersten elektronischen Anzeigen, tauchten Ziffern auf und Zeichen. »51°11’45.55” N und 6°45’49.74” O.«
Fran spürte Hitze in ihr Gesicht steigen. Ihre Finger flogen über die Tastatur. Eine Adresse erschien: Fritz-Reuter-Straße,Bilk. Und ein Name: Joseph Kaldenbach. Und ein Bild. Fran brach der Schweiß aus, ihr wurde übel.
»Fran, was ist los?« Albi legte ihr beide Hände auf die Schultern, und sie stellte fest, dass sie die Berührung beruhigte. »Du bist weiß wie die Wand.«
Fran zeigte auf den Bildschirm. »Ich kenne ihn. Ich sehe ihn fast jeden Tag. Er fährt die 712.«
»Mein Gott!«, entfuhr es Senior. »Was wissen wir sonst noch über ihn? Ist er aktenkundig?«
Sie klickte einen Button an. Ein Ping ertönte. Keine Einträge. Saubere Weste.
Seniors Handy läutete. Er ging ran, hörte einen Moment zu, dann verließ er den Wagen.
Fran hörte ihn brüllen wie einen Berserker: »Ihr elenden Versager, ihr unnützen Schmarotzer, wozu werdet ihr eigentlich bezahlt? Findet raus, wo er hin ist, zeigt Bilder am Bahnhof herum, ihr Deppen.« Er schwieg einen Moment, dann entgegnete er etwas ruhiger, dass er wisse, dass sie zu zweit überfordert seien, und dass er wisse, dass das MEK zuständig sei, und dass er wisse, dass sie das freiwillig machten, weil der Richter weder eine Überwachung noch Abhöre angeordnet habe und sie daher auch sein Handy nicht anzapfen durften, und erst morgen, wenn er sich nicht bei der Polizei gemeldet hätte, erst dann dürften sie eine Fahndung einleiten. Senior entschuldigte sich mehrfach, dankte den Kollegen und kam zurück.
Sein Kopf war hochrot, selten hatte Fran ihn so wütend erlebt, noch nie hatte sie erlebt, dass er Kollegen grundlos so fertiggemacht hatte. Senior brauchte eine Auszeit, aber das würde sie ihm nicht sagen, denn die Antwort kannte sie.
»Sie haben Rüttgen verloren. Er ist mit dem Rucksack los, in der Straßenbahn hat er sie abgehängt.«
Fran seufzte. Das war großer Mist, Rüttgen konnte jederzeitausrasten. Sein Leben lag in Scherben: seine Mutter tot, seine Kirche aufgelöst, er war von der Schule geflogen.
Aber jetzt mussten sie sich erst einmal auf Kaldenbach konzentrieren. Sie betrachtete sein Gesicht. Das Foto stammte aus den Akten der Rheinbahn. Charmantes Lächeln, warme Augen, eine Adlernase, so kannte sie ihn aus der Bahn. Und sie hatte ihn in einem anderen Zusammenhang schon einmal gesehen, aber wo? Sie verdrängte den Gedanken, sie wusste, dass es nichts half, ihr Gehirn zu stressen. Wenn sie ihn
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