Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition)
eins Komma null; das Maschinenbaustudium hatte er vier Jahre später mit Bestnote abgeschlossen. Die Bundeswehr hatte ihn mit Kusshand genommen und als Sprengstoffexperten ausgebildet: ein Überflieger, körperlich fit, unauffällig, beliebt, risikobereit. Und dann ging etwas schief. Bei der Entschärfung einer Bombe im Irak wurde Kaldenbach schwer verletzt, ein Kollege von ihm kam ums Leben. Die Untersuchungen ergaben, dass Kaldenbach grob fahrlässig gehandelt hatte. Er wurde unehrenhaft entlassen.
Für Fran war klar: Das war die Initialzündung gewesen, die Kaldenbachs Seele in Fetzen gerissen hatte.
Sie saßen im großen Konferenzraum des Innenministeriums, ein Krisenstab war gebildet worden. Innerhalb von zwei Stunden lag alles auf dem Tisch, was über Kaldenbach zu finden war.
Kaldenbach war noch gerissener, als Fran gedacht hatte. Das Bömbchen, das Bredows gesprengt hatte, war von ihm in voller Absicht so konstruiert, dass es aussah, als sei es von einem Laien gebaut worden, und hatte so dafür gesorgt, dass sie nicht nach einem Experten gesucht hatten.
Fran war erstaunt, wie viele Informationen zusammenkamen, wie viele Details bei Behörden und im Internet gespeichert waren. Alle Kontenbewegungen, die Kaldenbach jemalsveranlasst hatte; ein Bewegungsprofil, verursacht durch die Nutzung seines Handys und seiner Kreditkarten; seine Dienstpläne, seit er das erste Mal in Düsseldorf eine Bahn gefahren hatte; Beurteilungen stapelweise. Gute Beurteilungen. Dennoch wussten sie längst nicht alles über diesen Mann. Wo war seine Familie? Er war verheiratet, hatte zwei Töchter, sie waren in Hamburg abgemeldet, aber in Düsseldorf nicht angemeldet worden. Kaldenbach hatte als Single in Bilk gelebt. Kein Nachbar hatte jemals jemand anderen als Kaldenbach in dem Haus gesehen. Fran glaubte nicht, dass sie seine Frau und die beiden Mädchen lebend finden würden.
In allen Ländern, mit denen Deutschland entsprechende Abkommen hatte, wurde fieberhaft nach Kaldenbach gefahndet, Flughäfen, Bahnhöfe, Busstationen, Häfen wurden abgesucht. Alles, was Beine hatte, war mobilisiert, jeder Polizist in Deutschland, der auf der Straße unterwegs war, hatte ein Foto in der einen Hand, die andere an der Waffe. Kaldenbach war der aktuelle Staatsfeind Nummer eins, und er war wie vom Erdboden verschluckt.
Das überraschte Fran nicht im Geringsten. Kaldenbach handelte überlegt, er hatte einen Plan. Aber wo führte das hin?
Zumindest lief jetzt die Zusammenarbeit mit allen Behörden wie geschmiert. Fran saß mit Bruno, Christine und Martina an einem riesigen Bildschirm, auf dem alle relevanten Bewegungsdaten mit verschiedenfarbigen Punkten und Linien gekennzeichnet waren. Martinas Analyse war auf vierhundert Meter genau gewesen. Kaldenbachs Haus war der Mittelpunkt, eine dicke rote Linie führte nach Norden. Kaldenbach hatte sich und seine Familie Ende Mai abgemeldet und sich alleine in Düsseldorf Anfang Juni wieder angemeldet. Martina hatte die Karte in verschiedene Regionen eingeteilt: Basis, Nahbereich, Aktionsbereich, Komfortbereich, Risikobereich, Ruhezone, Rückzugszone. Die Letztere bereitete ihnen natürlich das meiste Kopfzerbrechen. Wo hielt sich Kaldenbach versteckt? Es gab keinen Hinweis auf irgendein Grundstück oder eine Immobilie, die ihm gehörte, außer seinem zerstörten Haus. Selbst der blutigste Laie konnte sich ausrechnen, dass Kaldenbach alle Brücken abgebrochen hatte, aber dass er noch lange nicht fertig war, was immer er auch plante. Er hatte sie bewusst zu seinem Haus geführt, das ein wichtiger Ankerpunkt für ihn gewesen war.
Wenn das geografische Profil korrekt war, dann war Kaldenbach nicht weit weg. Christine war davon überzeugt, dass er sich innerhalb eines Radius von dreißig Kilometern um sein zerstörtes Haus aufhielt. Irgendwo in diesem riesigen Gebiet war sein jetziger wichtigster Ankerpunkt.
Fran war sich sicher, dass Kaldenbach nicht zitternd vor Angst irgendwo in einem Mauseloch saß, weil die gesamte deutsche und internationale Polizei nach ihm fahndete. Er würde sich ein anderes Gesicht zulegen und damit ungehindert herumspazieren. Wer in der Lage war, über eine solch lange Zeit einen Mord nach dem anderen zu begehen, wer in der Lage war, den gesamten Polizeiapparat so zu narren, wer eine solche Sprengfalle bauen konnte, für den war es ein Klacks, spurlos unterzutauchen.
»Was will er?«, fragte Albi.
Er hatte sich neben Fran gesetzt, sie genoss seine Nähe, und es machte ihr
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