Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition)
verstaute die Empfangsbestätigung. »Stand der Dinge: Die Kollegen vom Erkennungsdienst sind schon fleißig bei der Arbeit. Todeszeitpunktbestimmung ungewiss. Der Verwesungszustandlässt auf ungefähr sechs Monate plus-minus drei Monate Liegezeit schließen, und die Leiche ist natürlich noch nicht identifiziert.«
»Wem gehört das Boot?«
Herz zog seinen Notizblock zurate. »Heide Ploch, lebt in Berlin. Ich habe mit ihr telefoniert. Sie hat es von ihrem Vater geerbt, der vor sechs Jahren gestorben ist. Die Einstellmiete hatte ihr Vater für fünfzehn Jahre bezahlt. Sie hatte nicht vor, das Boot zu verkaufen, aber sie wollte es auch nicht nutzen. Ach ja, sie ist Anwältin, hat die Kanzlei ihres Vaters hier in Düsseldorf gut verkauft und sich in Berlin erfolgreich selbstständig gemacht. Von einer Leiche hat sie natürlich nichts gewusst, und auch die zusätzlichen Aufkleber mit der Zahl und Lilith sind ihr unbekannt.«
Fran nickte. »Was ist mit den Überwachungsbändern?«
»Die liegen vor, und zwar für die letzten vier Monate.«
Fran pfiff durch die Zähne. »Wie das?«
»Der Club hat einen Daten-Junkie. Unser Glück. Er hat die Bilder von zwei Kameras in Graustufen aufgenommen und hoch komprimiert. Knapp achtzig Gigabyte pro Monat. Leider hat er erst vor vier Monaten angefangen.«
Fran lief es eiskalt über den Rücken. Vier Monate Videos sichten! Zwei Kameras! Das sind acht Monate. Selbst wenn sie alles durch die Bewegungserkennungssoftware laufen ließen, blieb noch genug übrig.
»Das dauert doch ewig!« Fran warf die Hände nach oben.
Senior grinste. »Glaubst du, wir machen die Schmutzarbeit? Wir bekommen für die Videoauswertung vierzig Praktikanten von der Polizeischule. Das heißt, wir brauchen etwa sechs Tage für einen Durchlauf. Ich will mindestens zwei Durchläufe.« Senior wandte sich Fran zu. »Gibt es Parameter, die du für besonders wichtig hältst?«
»Sie sollen Ausschau halten nach einer Einzelperson, die entweder das Boot fotografiert oder längere Zeit vor dem Gelände steht. Vielleicht haben wir Glück.«
»Das gebe ich so weiter, Fran. Dass wir den Täter bei der Ablage der Leiche erwischen, wage ich nicht zu hoffen.«
Fran wollte etwas erwidern, aber Herz kam ihr zuvor. »Unser vordringlichstes Ziel ist die Identifizierung des Toten.«
Senior nickte ihm zu, Herz schloss die Kamera an einen Bildschirm an. Ein Hautfetzen erschien, der aufgequollen und runzelig war wie bei einer Wasserleiche. An den Rändern waren Finger zu erkennen, die in Latexhandschuhen steckten und die Haut stramm zogen. Fran erkannte es sofort. Eine Tätowierung, und zwar eine professionell ausgeführte.
»Die einzige, Senior?«
»Schwer zu sagen. Zumindest im Moment das einzige Fragment, das erkennbar ist. Die meisten anderen Hautpartien sind zu stark aufgelöst.«
Herz vergrößerte den Ausschnitt. Eine blasse Rose, deren Blüte von einem Dolch durchbohrt wurde. Darunter eine Widmung: »Rosalie für immer«.
»Irgendetwas Auffälliges?«, fragte Herz.
»Anscheinend eine unglückliche Liebe. Oder ein verstecktes Geständnis.«
Herz machte ein ungläubiges Gesicht. »Das müssen Sie …«
»Du. Das macht es einfacher«, sagte Fran.
»Einverstanden, gerne. Das musst du mir erklären.«
Fran zeigte auf die Rose. »Er könnte die Rose ermordet haben. Dann wäre sie für immer sein. Einen Menschen töten heißt die absolute Kontrolle über ihn zu haben. Und die Rose, das ist oder war Rosalie.«
Herz nickte zustimmend. »Das ist eine erstaunliche Interpretation. Man muss nur genau hinschauen.«
»Man muss vorbeischauen«, korrigierte Fran. »Das ist der Trick. Dann siehst du Dinge, die du vorher nicht sehen konntest, weil sich dein Kopf zu sehr damit beschäftigt hat, alles einzuordnen in deine vorgefertigten Kisten und Kästen.«
»Aber wie soll das gehen?«
»Das kann ich dir nicht in zehn Minuten beibringen.«
Es hatte zwei Jahre gedauert, bis sie begriffen hatte, was das bedeutete: vorbeischauen. Es war ein Werkzeug geworden, das sie anwenden konnte oder auch nicht. Sie konnte auf Befehl nur das Wesen eines Dings erfassen, um dann alle Möglichkeiten zu erkennen, die darin verborgen lagen.
»Deswegen habe ich sie angefordert, Sascha. Weil ich das auch nicht kann. Du wirst staunen, was sie noch so alles aus ein paar Kleinigkeiten herausliest.«
Er griff zum Funkgerät. »Zentrale?« Es rauschte kurz, dann kam die Bestätigung. »Haller hier, jagt doch mal bitte folgenden Namen durch das
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