Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition)
ganz am Anfang. Sie war von fundamentalistischen Christen streng religiös erzogen worden. Lars hatte es nicht glauben wollen, dass es so etwas in Deutschland noch gab, aber sie hatte ihm ausführlich berichtet, wie ihre Mutter sie nachts überwacht hatte, damit sie sich nicht zwischen die Beine griff; wie ihr Vater sie von Jungs abschirmte, sie immer von der Schule abholte und sie nie alleine ausgehen durfte, bis sie achtzehn Jahre alt war; dass sie ständig beten musste, vor dem Essen, nach dem Essen, morgens, abends, und jeden Sonntag ging es in die Kirche. Immer wieder hatten ihre Eltern sie ins Gebet genommen, weil sie wissen wollten, ob sie ihnen mit vorehelichem Geschlechtsverkehr Schande gemacht hatte. Ansonsten hatten sie sich nicht für sie interessiert, hatten sie reduziert auf ihr Geschlecht.
Lars hatte sie in einer Kneipe kennengelernt, und sie war fasziniert gewesen von der Aussicht, ein freies Leben führen zu können. Unter frei verstand sie nicht, dass sie hingehen konnte, wo sie wollte; sie war ja schließlich volljährig. Mit frei meinte sie, dass Lars sie von den Fesseln der ihr eingepflanzten religiösen Regeln befreien sollte. Schnell fand Lars heraus, wie schwer das war. Johanna war schon neunzehn, immer noch Jungfrau, und bis jetzt hatte sie sich geweigert, die große Zeremonie mit Lars zu vollziehen. Er hoffte inständig, dass sie bei Marvin ihre Meinung ändern würde.
Lars bemerkte die Blicke der anderen, räusperte sich und griff den Faden wieder auf. »Und was bedeutet das im Falle der verfluchten Selm-Böden, die meine Mutter eine Hure genannt und mich angegriffen hat, indem sie mich von der Schule werfen ließ?« Er zögerte einen Moment. »Lilith?!«
»Sie muss brennen für alle Ewigkeit!«
Alle vier wiederholten den Satz. »Sie muss brennen für alle Ewigkeit.« Ihre Stimmen vereinten sich zu einem reinenMoll-Akkord, der schnell in den Teppichen versickerte, mit denen Marvin sein Zimmer ausgekleidet hatte.
Seinen Vater kümmerte es nicht, was Marvin trieb, solange er keine Schwierigkeiten machte. Als sie die erste Messe bei ihm zelebriert hatten, war Marvins Vater nur einmal reingekommen, hatte gesagt, dass er es nicht dulde, wenn in seiner Wohnung gekifft würde, und dass sie gefälligst Pariser nehmen sollten, wenn sie rumvögelten. Dann hatte er sich wieder vor den Fernseher verzogen, und sie hatten den ganzen Abend und die Nacht über nichts mehr von ihm gehört. Am nächsten Tag war er in seinen Truck gestiegen und für drei Wochen auf Tour gegangen.
Lars hatte damals innerlich grinsen müssen. Kiffen? Das war etwas für Warmduscher. Sie hatten weitaus bessere Drogen, um mit Satans Welt in Verbindung zu treten. Besonders wirksam war LSD in einer Mischung mit Morphium, allerdings musste das Morphium sauber sein. Mit LSD öffneten sich die Pforten zu Satans Welt, das Morphium sorgte für eine sanfte Reise.
Heute Abend würde jeder nur einen viertel Trip einwerfen, damit sie rechtzeitig wieder zurück wären. Lars zerriss feierlich ein Stückchen Papier in vier Teile, das mit der Mischung vollgesogen war. Mit den Worten der siebten satanischen Regel schluckten sie sie gleichzeitig: »Erkenne die Macht der Magie an, wenn du sie erfolgreich eingesetzt hast, um deinen Wünschen zum Erfolg zu verhelfen. Wenn du die Macht der Magie verleugnest, nachdem du sie mit Erfolg beschworen hast, wirst du alles verlieren, was du erreicht hast.«
Bereits nach einer Viertelstunde öffneten sich die Tore zur Unterwelt. Lars’ Körper wurde leicht, die Schwerkraft verlor ihre Macht über die Materie, er schritt hindurch, hinter ihm seine Jünger. Sie traten vor den Altar Luzifers, der sie wohlwollend begrüßte und bat, an einer Zeremonie teilzunehmen.
Staunend verfolgten die vier, wie Luzifer mit einer Hand einen Ochsen an den Hörnern festhielt und ihm mit der anderen die Kehle mit einem Streich durchtrennte.
Lars spürte heißes Blut auf seinem Gesicht, er leckte sich über die Lippen, und der salzige metallische Geschmack versetzte ihn in Verzückung. Die Worte seines Herrn dröhnten in seinem Kopf, gleißende Feuer züngelten an seinem Körper, aber es schmerzte nicht, sondern es wärmte, und sein Glied wurde hart.
»So ist es gut!«, rief Luzifer. »Denn Satan bedeutet Sinnesfreude anstatt Abstinenz!«
Hundert Stimmen raunten, und die Wände der in gleißendes Licht getauchten Halle warfen das Raunen tausendfach zurück.
»Satan bedeutet Lebenskraft anstatt Hirngespinste!«
Ja,
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