Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition)
mich davon abbringen könnte. Ist das klar?«
Frans Herz schlug bis zum Hals, sie schaute kurz zu Senior, der aber nur seine Schuhe betrachtete. »Klarer geht es nicht«, entgegnete sie und meinte es auch so.
Es war vor allem glasklar, dass Böhrerjan gerade zwei Dienstvergehen begangen hatte: Er hatte sie eingeschüchtert, und er hatte die Ermittlungen nicht abgegeben. Obwohl sie Böhrerjan dafür verachtete, beschloss sie, vorerst stillzuhalten. Entweder lehnte sie sich gegen den Apparat auf und wurde zerbrochen, oder sie spielte mit. Das Problem war, die Grenze zu erkennen, die sie nicht überschreiten durfte, die Grenze, ab der sie ihr Gewissen in die Tonne treten konnte.
Ohne ein weiteres Wort stapfte der Oberstaatsanwalt los, sein Körper hart wie Granit.
Fran und Senior blieben zurück.
»Versuch ihn zu verstehen«, flüsterte Senior. »Helena ist ihm ans Herz gewachsen wie eine Tochter. Er ist mit ihrer Mutter seit vier Jahren zusammen.«
»Umso mehr ein Grund, die Ermittlungen abzugeben.«
»Grundsätzlich ja, aber das sollte der Innenminister entscheiden.«
Fran schüttelte den Kopf. Sie hatte soeben ihre Grenze gefunden. »Ich werde stillhalten, solange er keine Scheiße baut, solange er den Fall nicht gefährdet, keinen Moment länger.«
»Das ist fair. Und wenn er Scheiße bauen sollte, stehe ich auf deiner Seite.«
Fran berührte Senior kurz an der Schulter und ging dann ein paar Schritte beiseite. Er wusste, dass sie jetzt ein paar Minuten für sich brauchte.
»Du hast sie gefoltert«, flüsterte Fran. »Aber du hast sie nicht vergewaltigt. Du hast ihr einen Finger abgeschnitten, ihn aber nicht behalten. Ihre
Kleider fehlen, alles, was sie besessen hat. Sammelst du Kleider? Nein. Bredows war komplett angezogen. Du bist nicht aus auf kleine Souvenirs. Du willst
mehr. Und du willst, dass wir wissen, was du machst. Der Finger zeigt auf den Hals. Du folterst mit Strom, der nicht tödlich ist. Deine Opfer müssen
furchtbare Schmerzen erleiden, sie müssen schreien.« Fran wurde übel. »Du bist von der Sorte, die sich an den Qualen seiner Opfer labt. Du hast keinerlei Mitgefühl. Du kannst quälen, töten, foltern, ohne dass es dir das Geringste ausmacht. Die Frage ist: Was behältst du von ihnen, um deinen Kick immer wieder erleben zu können?«
Fran schaltete ihr Denken aus. Bilder jagten ihr durch den Kopf, Informationsfetzen, Laute, Farben, Zahlen, alles wirbelte durcheinander. Plötzlich stoppte der Gedankenstrom. Der Sozialarbeiter. Die Folterszenen. Die Schreie. Viele Schreie. Täuschend echt. »Du willst alles, über den Tod hinaus. Leben – Tod – Jenseits. Du hast es aufgeschrieben. Du willst die Seele deiner Opfer. Du willst ihren Schmerz. Bis in alle Ewigkeit.«
*
Ich liege auf dem Thron. Aus den Lautsprechern springt Helenas Musik in meinen Kopf, in meine Seele, in meinen Bauch. Mein Puls rast immer noch. Es fühlt sich an, als müsse ich sterben, mein Hals ist eng, ich kann kaum atmen. Aber das war es wert. Sie hat verstanden. Sie hat mich angesehen, aber nicht erkannt. Mein Gesicht war versteckt hinter einer undurchdringlichen Maske. Helena ist nicht umsonst gestorben, ich ziehe die Fäden, die Puppen tanzen.
Wer ist als Nächster dran? Mein Verstand schreit: »Mach eine Pause, es ist zu gefährlich.« Mein Bauch schreit: »Nimm sie alle! Lass sie schreien! Lass die Welt endlich deine Sammlung hören!« Das Kunstwerk aller Kunstwerke eines genialen Künstlers.
Einen klingenden Namen muss ich mir zulegen. Mein Kopf wird immer heißer. Sonor! Der Gedanke kommt einfach so. »Sonor« bedeutet wohltönend, klangvoll. Nichts kann besser beschreiben, was ich tue, wer ich bin. Aber ich muss noch etwas hinzufügen: Deus, Gott. Deus Sonor. Der Gott des Wohlklangs. Das ist angemessen. Ich klatsche in die Hände. »Oh ja!«, sage ich zu meinem Bildschirm. »Das ist nur ein kleiner Vorgeschmack auf das Finale, wenn Deus Sonor es euch allen zeigt.«
*
Der KR 2 platzte aus allen Nähten. Fran zählte zehn Kolleginnen und achtzehn Kollegen. Mit ihr und Herz und Senior waren es einunddreißig. Fran kannte bis auf Herz, Senior und Böhrerjan niemanden. Jetzt, wo die Interessen des Oberstaatsanwaltes betroffen sind, dachte Fran, jetzt gibt es Ressourcen ohne Ende.
Sie hatte sofort eine V i CLAS -Abfrage gestartet. Das Ergebnis: Es gab in Deutschland keine vergleichbare Täterhandschrift und keine vergleichbare Vorgehensweise. Drei Treffer gab es in Kanada, vier in den USA .
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