Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition)
verschmähen konnte. Außerdem hätte sie wahrscheinlich kein Team mehr, wenn sie herausfänden, dass sie den Sechser im Lotto abgelehnt hätte. Am Montag hatte sie ernsthaft erwogen zu lügen: Fast hätte sie die Verstümmelungen auf dem Rücken der Hamburger Leiche als satanische Symbole bezeichnet, um bessere Arbeitsbedingungen zu bekommen, jetzt flogen ihr die gebratenen Tauben in den offenen Mund. Aber zu welchem Preis? Das würde sich erst zeigen.
Sie senkte den Kopf. »Das ist großartig, natürlich, und ich danke dir dafür.« Mit einer schnellen Bewegung kniff sie ihm in den Arm.
Senior schrie leise auf. »Was ist das denn jetzt?«, fragte er entrüstet.
»Das ist dafür, dass du mich zu deiner Stellvertreterin machst und es nicht mit mir absprichst.«
Senior rieb sich den Arm. »Du bist stark, weißt du das nicht? Das hat wehgetan.«
»Sollte es auch!«, gab Fran patzig zurück.
»Du bist und bleibst ein Hitzkopf. Böhrerjan hat mir eine Minute vor der Konferenz gesteckt, ich solle dich zu meiner Stellvertreterin machen. Auf die Idee wäre ich gar nicht gekommen. Das heißt nicht, dass ich dir das nicht zutraue, so in zwei oder drei Jahren, wenn du ein bisschen ruhiger geworden bist.« Er grinste hämisch.
»Eben. Ich traue es mir ja selber nicht zu. Und er hat Herz düpiert, findest du nicht?«
»Hat er nicht. Herz wollte sowieso nicht.«
»Warum?«
Senior verzog den Mund. »Er denkt so wie du. Er hält Böhrerjan für eine Gefahr.«
Fran schürzte die Lippen. Jede Menge Pluspunkte für Herz. »Und wenn er gewollt hätte?«
Senior griff Fran links und rechts an der Schulter. »Was ist los? Du kennst mich doch, oder?« Er wartete keine Antwort ab. »Dann hätte Böhrerjan das Nachsehen gehabt.«
»Sorry«, sagte Fran. »Ich glaube, das ist alles zu viel auf einmal. Vor ein paar Tagen war ich drauf und dran zu kündigen, und plötzlich bin ich stellvertretende Leiterin der Mordkommission, die einen der spektakulärsten Morde in der Geschichte der nordrhein-westfälischen Polizei aufklären soll.«
»Es ist mit Abstand der spektakulärste seit Kürten, Bartsch und dem Rhein-Ruhr-Ripper. Am besten stürzen wir uns in die Arbeit. Nehmen wir uns die Ex vom Keller vor, was meinst du?«
»Ich glaube zwar nicht, dass das viel bringt, aber wir haben ja keine Wahl. Vorher muss ich mich aber mit meinem Team abstimmen. Das geht schnell. Ich will, dass wir eine Videostandleitung zum LKA aufbauen. Wir müssen jeden verdammten Schnipsel von allen Seiten betrachten. Und wir müssen endlich mit Ägidius Bonaventura sprechen. Wir dürfen den anderen Fall nicht vernachlässigen.« Fran biss sich auf die Zunge. Verdammt, sie hatte sich verplappert.
»Wer ist das?« Senior kniff die Augen zusammen.
»Jemand, der Solderwein gekannt hat. Und nicht nur das. Seit Jahren bringt er frische Blumen ans Grab.«
»Und du regst dich über Böhrerjan auf?«
»Das ist etwas anderes.« Ein schwacher Versuch.
»Ist es nicht. Wann hast du dich mit ihm verabredet?
»Um fünfzehn Uhr.«
»Alles klar, ich komme mit. Ich habe nichts zu verlieren. Und ein schlechtes Gewissen obendrauf.« Er grinste. »Eigentlich hätte ich auf Bonaventura kommen müssen.«
Fran nickte erleichtert.
*
Es war halb zehn, als alle versammelt waren. Christine Austerlitz trug eine gelbe Cordhose, darüber ein grünes Sweatshirt und als Abrundung weiße Gesundheitsschuhe. Bruno stützte das Kinn auf seine verschränkten Hände, Günther Anleder lümmelte sich auf seinem Stuhl wie ein pubertierender Pennäler und musterte sie misstrauisch. Martina Schwartz schaute sie offen und erwartungsvoll an.
»Der Chef hat euch noch nicht unterrichtet, nehme ich an?« Fellmis war wieder einmal unterwegs, und Fran war sich nicht sicher, ob Böhrerjan sie schon eingeweiht hatte.
Keine Antwort war auch eine Antwort.
»Ich mache es kurz. Heute Morgen ist am Unterbacher See, Südufer, Helena Meier tot aufgefunden worden.« Nur Bruno zeigte eine Regung, er hob die Augenbrauen. »Helena Meier ist die Tochter von Oberstaatsanwältin Meier, und der für Kapitaldelikte zuständige Oberstaatsanwalt Frank Böhrerjan ist quasi der Stiefvater. Anscheinend hat er einen Narren an mir gefressen, auf jeden Fall hat er mich zur stellvertretenden Leiterin der MOKO Helena gemacht.«
Günther fiel fast vom Stuhl. Er rappelte sich auf, verdrehte die Augen. »Aber das kannst du doch gar nicht!«
Fran grinste. »Korrekt. Aber darum geht es Böhrerjan gar nicht. Benjamin Haller
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