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Der Schmetterlingsbaum

Der Schmetterlingsbaum

Titel: Der Schmetterlingsbaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Urquhart
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wurde aus den Rädern? Am Ende blieben sie hinter unserem Waldstück liegen, wo sie vor sich hin rosteten und, soweit ich weiß, wahrscheinlich heute noch rosten.
    An einem Sonntag Mitte August in dem Sommer, in dem ich das Fahren lernte, sah ich etwa eine halbe Meile von der Farm entfernt Teo am Straßenrand stehen. Er blickte dem Wagen entgegen und hob die Hand, die Fläche mir zugewandt, und diese Geste schien mir eher segnend als auffordernd. Ich hielt an, er öffnete wortlos die Tür und stieg ein, und mit seinem Einsteigen hatte sich die Atmosphäre im Wagen vollkommen verändert. Mir fiel nichts ein, das ich hätte sagen können. Er wusste sicher, dass ich nicht weit fahren durfte, dass die Fahrt keinen von uns an ein bestimmtes Ziel bringen konnte. Ich drehte das Radio auf, um die Stille zu füllen. Es kamen Lieder über Hunger und Schmerz und verlorene Liebe, während ich, stur geradeaus schauend, dahinfuhr und mir die ganze Zeit bewusst war, dass dieser Junge mein Profil anstarrte. Obwohl die Fenster offen standen, wurde es im Wageninneren unangenehm warm. Die Nachmittagssonne schien herein und wanderte von seiner zu meiner Seite, während ich langsam die Kurven nahm, bis sich in einer dieser Kurven Teos braune Hand auf meine weiße Hand am Steuer legte. Als ich sie wegzog, sagte er, er würde gern fahren lernen, und er wäre auch sehr vorsichtig.
    Noch heute ist mir kaum verständlich, weshalb ich von dieser einen kurzen Berührung so aufgewühlt, so erschüttert war. Lag es an dieser Trance infolge der zunehmenden Hitze im Wagen? Waren es die Lieder aus dem Radio? Jedenfalls überließ ich ihm meinen Platz am Steuer und die gesamte damit verbundene Macht, als hätte ich die ganze Zeit nichts anderes im Sinn gehabt. Ich hielt an, wir öffneten die Türen, stiegen aus und wechselten, ohne einander anzusehen, hinter dem Wagen die Seiten.
    Als Fahrer war er ein Naturtalent, wenngleich ein übertrieben vorsichtiges – ich fragte mich, ob er wirklich zum allerersten Mal am Steuer saß, sagte aber nichts. Er war vollkommen auf die Straße konzentriert, vollkommen vertieft in das, was er tat, und zugleich merklich nervös, und dies alles ließ ihn mir älter, noch undurchdringlicher, ja fast wie aus einer anderen Zeit erscheinen. Ich betrachtete seine kräftigen, breiten Hände. Das grelle Sonnenlicht zeigte mir die Staubschicht, die von der Feldarbeit wie ein Flaum auf seinem glatten Hals und seinen schönen Unterarmen lag. Seine makellose Haut verursachte mir Unbehagen, beinahe Angst, obwohl ich nicht hätte sagen können, woher das kam oder was es bedeutete. Ich hoffte, dass wir niemandem begegneten, den wir kannten.
    Nach vielleicht fünf Minuten fuhr er vorsichtig an den Straßenrand und bremste ab, hinter uns stob eine weiche graue Wolke auf. »Jetzt wechseln wir wieder zurück«, sagte er, aber er blieb einfach sitzen, nahm nicht einmal die Hände vom Steuer; wir rührten uns beide nicht. Er starrte geradeaus, als hätte er in der Ferne etwas entdeckt, das ihn peinigte. »Ich bin krank vor Liebe zu dir«, sagte er.
    »Nein«, sagte ich, und es klang mir selbst laut in den Ohren. »Nein, bist du nicht.«
    »Voller Liebeskrankheit.«
    »Nein«, wiederholte ich.
    Er sah mich nicht an. Er ließ den Zündschlüssel stecken, öffnete die Wagentür, schloss sie behutsam hinter sich und ging davon.
    Zurück im Haus, stürzte ich ins Schlafzimmer, in dem Mandy saß und las, riss zornig Schubladen auf und stieß sie wieder zu, während ich nach einem Badeanzug suchte und keinen fand. Ich spürte Mandys Blick und ihre ungestellten Fragen im Raum, ignorierte sie aber, und als ich endlich einen Badeanzug gefunden hatte, riss ich mir die Kleider vom Leib und stieg hinein; dann rannte ich aus dem Haus, dem Kälteschock des Sees entgegen. Ich schwamm kraftvoll vom Ufer fort, gut zehn Minuten lang, dann hielt ich an und begann Wasser zu treten. Ich blickte zur Farm meines Onkels zurück, sah die ordentlichen Reihen der Obstbäume, die Felder dahinter und weit in der Ferne die niedrigen, staubigen Ortschaften, in denen manche unserer älteren Verwandten lebten. Ich war so weit entfernt, dass die blauen Dächer des Hauses, der Scheune, der Schlafbaracke und anderer Nebengebäude verkürzt und geschrumpft wirkten – die ganze Farm war wie ein Gemälde an der Wand. Die vier Laster, sauber nebeneinander vor dem Speicherhaus geparkt, sahen aus wie Spielautos, die Gartenmöbel wie für ein Puppenhaus gemacht.
    Diese Worte, von

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