Der Schmetterlingsbaum
Teo so unbeholfen gesprochen, hatten mich aus der kollektiven Umarmung dieses wohlgeordneten Landlebens gerissen: von meinen Cousins und Cousinen und Tanten und Onkeln getrennt, von den Behältern mit Äpfeln und den zahlreichen Bäumen, an denen sie wuchsen, von den Ritualen zur Schlafenszeit und der Ruhe, die mich an jedem Sommermorgen überkam, wenn ich neben dem vertrauten Fenster erwachte. Sogar die leichte Anhöhe, die einmal, hatte mein Onkel erzählt, das Ufer eines uralten, nicht mehr erkennbaren Sees gewesen war, eines Ahnen des heutigen, in dem ich jetzt schwamm, wich in eine unwiederbringliche Frühgeschichte zurück. Alles schien traurig und fern und für immer in einer Vergangenheit eingeschlossen, an die ich mich jetzt nur noch erinnern, die ich aber nie mehr erleben könnte. Keine Ahnung, was Teo gemeint hatte, sagte ich mir, aber alles in mir reagierte auf fremdartige, beunruhigende Weise. Ich wusste, dass ich anders geworden war, aber die Ursache der Veränderung konnte und wollte ich nicht benennen.
Wie viel von der ersten Liebe – vielleicht von jeder Liebe – wächst in Einsamkeit und Abgeschiedenheit heran? Sie könnten eine der Spielfiguren für immer vom Tisch wegnehmen, und es würde sich nicht viel ändern – die Fantasie ist nun mal, wie sie ist. Und wie fremd und seltsam diese frühe Liebe wird, sobald sie das Haus betritt, das ihr die Fantasie errichtet hat. Ununterbrochen geht sie einem durch den Kopf; das Mädchen, der Junge, an den sie sich heftet, wird fern, unerreichbar. Wäre sie einfacher für mich gewesen, wäre sie weniger abrupt in mein Leben eingebrochen, sondern hätte langsam in den alltäglichen Ereignissen Wurzeln geschlagen, so hätte ich es wohl fertiggebracht, in meinem Leben anwesend zu bleiben. Aber so, wie es war, fühlte ich mich allem, meiner ganzen Umgebung entfremdet, und das würde wohl für den Rest des Sommers so bleiben, das spürte ich. Und es ärgerte mich, aber es verwunderte mich auch, und es weckte mich auf. Neun Wörter und eine Berührung, mehr hatte es nicht gebraucht, um mich in Geiselhaft zu nehmen. Mein Ich, wie ich es zu kennen geglaubt hatte, würde mir nie wieder zugänglich sein.
Doch als ich – als mein Ich – wieder das Schlafzimmer betrat, war dort Mandy, so neugierig und in ihre Beschäftigung vertieft wie immer – und so aufmerksam und wissend. Ich war zu lange im See gewesen, war zu weit geschwommen, mein dunkles Haar war noch dunkler, klebte am Schädel fest und an meinem Hals. Und Mandy, in der Ruhe ihres Zimmers und der spätnachmittäglichen Sonne badend, war in einer Weise golden, wie ich es nie sein konnte. Die vollendeten Züge ihrer Mutter waren in ihrem Gesicht ein wenig anders arrangiert und machten ihren Ausdruck großmütig, einladend. Sie ließ jeden herein, der ihr am Herzen lag. Sie schloss nichts aus.
»Was ist los?«, fragte sie, mich aufmerksam musternd.
Nicht einmal Mandy, mit der ich in diesem Zimmer über alles gesprochen hatte, manchmal bis in den frühen Morgen, brächte es fertig, in diese neue Distanz einzudringen. Estoy aparte , dachte ich und dachte zurück an das Kind, das Teo gewesen war. »Was liest du denn?«, fragte ich mit einem Blick auf das Buch, das aufgeschlagen auf ihren langen gebräunten Beinen lag.
»Für Englisch nächstes Jahr … die Pflichtlektüre. Lord Jim . Ein Buch für Jungen, gl aube ich. Aber ich find’s gut.«
Es sollte ein Tag kommen, an dem ich Mandy an ihre eigenen, dunkleren Rückzugsorte verlieren würde; an Ehrgeiz und an die Liebe; an das, was ich mit der Zeit als ihre Liebe und den Ehrgeiz eines anderen ansah, obwohl sie selbst es nie so dargestellt hätte. Vorläufig saß sie in ihren abgeschnittenen Jeans im Schneidersitz auf dem Bett, einen fragenden Ausdruck im Gesicht und auf dem Schoß ein Buch über das Gift von Ehrgeiz und Invasion und Kolonialisierung.
M andy, so wortgewandt und souverän in allen anderen Bereichen ihres Lebens, wurde in Gegenwart des Mannes, der ihr so viel bedeutete, stumm und unsicher. »Stumm gemacht« war die Formulierung, die sie mir gegenüber gebrauchte, der Zuhörerin, bei der sie nie stumm war. »Stumm gemacht«, fügte sie hinzu, »weil es einen Ort gibt, an den ich mit ihm nie gehen kann, etwas Elementares und Wesentliches an ihm, zu dem ich nie wirklich Zugang haben werde.«
Ich dachte oft, sie hätte alles, was sie zu mir sagte, lieber zu ihm sagen sollen, hätte ihm wenigstens eine Chance geben sollen, den einen Teil von ihr
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