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Der Schmetterlingsbaum

Der Schmetterlingsbaum

Titel: Der Schmetterlingsbaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Urquhart
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zu ihr. Du bist eine Erwachsene und eine Offizierin, womit er andeutete, dass sie sich diese Situation ebenso ausgesucht habe wie er, was natürlich der Wahrheit entsprach und damit wohl demütigender war als ein ungerechter Vorwurf. Aber Mandy bewunderte seine Aufrichtigkeit. Er soll brutal ehrlich zu mir sein, sagte sie. Klingt so, als wäre er einfach nur brutal, antwortete ich.
    Er machte ihr klar, dass sie mit niemandem darüber reden dürfe, nicht wissend, wie viel sie mit mir darüber redete. Vielleicht wusste er nicht einmal von meiner Existenz. Ihre Beziehung war offenbar ein Geheimnis, neben dem sämtliche Militär- und Staatsgeheimnisse verblassten, eine, wie er sagte, so explosive Information, dass sie sich jeder Einordnung widersetzte. Niemand von Mandys Offizierskollegen und niemand in den niedrigeren Diensträngen wusste davon, obwohl ich sicher war, dass wahrscheinlich nicht wenige von ihnen, den Vorschriften zum Trotz, ebenfalls ihre Affären hatten. Aber nicht mit höheren Offizieren, sagte sie, als ich meine Vermutung äußerte.
    Woraufhin ich sagte, es sei mir egal, wer er sei oder an welcher Stelle der Nahrungskette er stehe – er benutze sie.
    Das ganze letzte Jahr hindurch, seit Mandys Tod, habe ich mich jedes Mal, wenn ich im Fernsehen einen Militärsprecher sah – es sind immer Männer – , gefragt, ob er das wohl sei. Ich habe sie mir alle sehr genau angesehen, Mann für Mann, Uniform für Uniform, und nach absichtsvoller Kälte gesucht, die sich über jede persönliche Beziehung hinwegsetzt; nach einer Zielstrebigkeit, die jede Wärme, jede Beziehung ausschließt.
    »Er ist also verheiratet«, sagte ich schließlich. »Der höhere Herr Offizier ist verheiratet.«
    »Wär’s nur so unkompliziert«, erwiderte sie darauf, ohne auf meine unverhohlene Verachtung für Dienstränge einzugehen. »Wäre er verheiratet, oder wüsste ich mit Sicherheit, dass er mich benutzt, könnte ich damit leben, oder ich könnte ohne ihn leben. Aber so, wie es ist … « Sie ließ den Satz unvollendet. Wie es war, erfuhr ich nie.
    Und trotz alledem, trotz der Ungewissheit, hielt ihn Mandy offensichtlich für einen Heiligen. Männer wie Frauen seien gleichermaßen von ihm fasziniert, sagte sie, und gehorchten seinen Befehlen frag- und klaglos. Und sie redeten über ihn, sagte sie. Sie redeten ständig über ihn, und sie, Mandy, war mitten unter ihnen. Ich stellte sie mir vor, in vorschriftsmäßigem Militärkhaki, dem Anschein nach ebenso sensationslüstern und unbeteiligt wie alle anderen. Und deshalb hörte sie das Gerede über ihn, was er wohl mit anderen Frauen anstellte oder nicht, welche unter den jungen Offizieren seine jüngsten Entdeckungen seien, wer der beste neue Stratege, Techniker, Krieger. Er wusste, wer es weit bringen würde, denn er gehörte dem Entscheidungsapparat an, der bestimmte, wer es weit bringen würde, und Mandy bekam allmählich das Gefühl, dass sie nie unter den Erwählten wäre. Aber da sie sich in unmittelbarer Nähe der Erwählten aufhielt, in der Offiziersmesse mit ihnen aß und trank, sah sie, wie sie wuchsen und aufblühten in der Wärme seiner Beachtung. Und seiner Zuneigung, fügte sie zu seiner Verteidigung hinzu.
    Wenn jemand, irgendjemand umkam, ließen seine Empathie und mannhafte Trauer das ganze Korps zusammenrücken, und wenn er über den jeweiligen Toten sprach, war es, als sei früher noch nie jemand gefallen. Seine Reaktion war absolut persönlich und tief empfunden. Es sei unmöglich, sagte Mandy, von seinen Worten, seinem Auftreten, seiner plötzlichen Demut nicht bewegt zu sein. Es sei unmöglich, sich nicht sofort wieder ins Gefecht stürzen zu wollen. Und, dachte ich, wohl auch unmöglich, nicht selber sterben zu wollen, um ebenfalls in den Genuss einer Grabrede mit gebrochener Stimme und bloßgelegtem Herzen zu kommen.
    Eine inoffizielle Reise machten sie dann aber doch miteinander, erzählte sie mir. Er wollte die kanadischen Schlachtfelder in Italien besichtigen, wo ihre Kompanie, die Seaforth Islanders, im Zweiten Weltkrieg gekämpft hatte. Ihre jeweiligen Urlaube hatten sich teilweise überschnitten, und sie war nach Rom geflogen und dann mit dem Zug in irgendein Kaff gefahren, das von den kanadischen Kriegsgräbern weit genug entfernt war, dass die Wahrscheinlichkeit, jemand Bekannten zu treffen, gering war, obwohl er meinte, die Chance bestehe immer. Es sei nicht perfekt gewesen, gestand sie. Es habe die ganze Zeit geregnet, und der Ort selber, der im

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