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Der Schmetterlingsbaum

Der Schmetterlingsbaum

Titel: Der Schmetterlingsbaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Urquhart
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abends allein mit einem zerbrochenen Gegenstand, den sie einmal sehr geschätzt hat, und einer Tube Porzellankleber in diesem Haus sitzt, löste ein mit Beklemmung vermischtes Mitgefühl mit meiner Tante in mir aus – ganz besonders, als ich die ineinander verschränkten Kreise ihres Lieblingsmusters, Schlüssel-und-Ehering, auf dieselbe seltsam sanfte Art zerfallen sah – welch eine Ironie.
    Die Rosenbüsche aber, die ausgerissenen und in den See geworfenen Rosenbüsche ersetzte sie nicht. Ich selber war nie eine große Gärtnerin. In meinem ersten Monat in diesem Haus habe ich gar nichts gepflanzt, sondern verbrachte meine freie Zeit damit, von einem Zimmer zum anderen zu wandern und mit Geistern zu debattieren. Jedenfalls füllte ich schließlich zwei Recyclingtüten mit den antiken Glasscherben und zerrte die klirrenden Plastiksäcke hinter mir her auf die Straße, wo sie auf die Müllabfuhr warteten. Weder Mandy noch meine Vettern verloren ein Wort über das Verschwinden der Gläsersammlung – falls es ihnen überhaupt auffiel.

    Mandy sprach oft über die enge Bindung, die drüben in Afghanistan zwischen den Soldaten entstand. Ich wusste, dass es in der Umgebung des kanadischen Militärstützpunktes in Kandahar wirklich Dutzende Männer gab, eigentlich fast noch Kinder – aufgeweckte junge Soldaten, von denen manche jetzt so tot sind wie sie – , die selig gewesen wären, ihr eine Stunde lang einfach an einem Tisch gegenüberzusitzen und in Ruhe mit ihr zu plaudern, sich von ihrer lebendigen Art trösten zu lassen oder einfach von dem wandlungsfähigen Mienenspiel ihres reizenden, intelligenten Gesichts. Das war auch ihr klar, und sie reagierte auf die Aufmerksamkeit genauso, wie sie damals in unserer Jugend, im Tanzpavillon unter ihren Mitschülern aufgeblüht war. Am Anfang waren viele dieser jungen Soldaten ihre Freunde. Sie konnte mit ihnen reden, und sie redeten mit ihr. Mir erzählte sie, sie hätte einfach dadurch, dass sie alle zusammen dort waren, das Gefühl gehabt, als hätten sie sich, Männer und Frauen, von Kindheit an gekannt. Geschwister, sagte sie. Und fügte mir zuliebe noch Cousins hinzu.
    Groß und stark, die üppige blonde Mähne aus dem Gesicht zurückgekämmt, hat sie immer gut ausgesehen. Aber ihre unbestreitbare Attraktivität war so natürlich, so ungezwungen, dass sie die Kommunikation, gleich, welcher Art, eher erleichterte als behinderte, und ich bin sicher, dass sie einem Heimwehkranken aus Hamilton, einem Liebeskummergeplagten aus Nanaimo, einem jungen Ehemann aus Quebec, der verrückt vor Sorge um ein krankes Kind war, mit echter Einfühlung begegnen konnte. Und ich stelle mir vor, dass alle Soldaten sie nicht minder wegen ihres militärischen Urteilsvermögens respektierten und schätzten, wegen ihres wachen Gespürs und ihrer Art, wie sie durch die komplizierten Feinheiten des Militärjargons geradewegs zum Kern eines bestimmten Manövers vordrang, die Choreografie jeder geplanten diplomatischen Maßnahme, wohl auch jedes Einsatzes von Gewalt durchschaute. Sie konnten mit ihr über die verworrenen Ereignisse des Vortags reden und sie bitten, ihnen ihre Einschätzung der Lage mitzuteilen. Sie war ihnen ein Trost, da bin ich mir sicher, diesen Männern, von denen manche Angst hatten oder wütend waren, weil ihnen vieles einfach unverständlich war. Sie brachte eine konzentrierte Energie in jeden Raum, den sie betrat, und gab ihnen allen das Gefühl, dass die Probleme jedes Einzelnen ihr so wichtig seien wie ihnen selbst. Es war eine besondere Begabung von ihr, diese Fähigkeit zu echter Kommunikation. Zumindest in der Anfangszeit.
    Aber ich erfuhr, dass sie mit dem Mann, den sie liebte, ganz und gar nicht so reden konnte, und weil sie sich selbst die Schuld daran gab, zog sie sich sogar von den Männern und Frauen zurück, denen sie so zugetan war. Oh, pro forma machte sie weiter wie immer, doch irgendwann wurden alle ihre Beziehungen reines Theater, und sie hasste sich dafür. Sie sagte: Ich konnte kaum noch ihre Stimmen hören, aber inzwischen war ich wirklich gut darin, mich zu verstellen, ich verheimlichte alles, auch die Tatsache, dass ich mich verstellte. Eine Hälfte von mir verließ nie das Zimmer, in dem ich zuletzt mit ihm gewesen war, während die andere die Uniform des Tages trug, meinen Text sprach, die Rolle der verständnisvollen, einfühlsamen Offizierin spielte. Selbst bei Gefahr oder Grauen, erzählte sie, seien ihre Reaktionen einstudiert gewesen, nicht

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