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Der Schmetterlingsbaum

Der Schmetterlingsbaum

Titel: Der Schmetterlingsbaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Urquhart
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könnte ich dem widersprechen? Ich hatte nie den Drang nach unmöglichen Situationen. Ich habe die Lyrik nie ganz verstanden. Ich war nie Soldatin. Ich war nie Schmetterling. Ich habe nie auf diese komplizierte Art geliebt wie Mandy.

I n dieser letzten seltsamen Nacht, das weiß ich noch, fiel aus allen Räumen im Erdgeschoss Licht auf das Gras rund ums Haus. Auch draußen brannten Lichter, und der Mond schien so hell, dass meine Cousins und ich – und Teo – am Picknicktisch in Ufernähe Monopoly spielen konnten. Ich habe noch das plonk, plonk der hölzernen Spielsteine im Ohr, die von Grundstück zu Grundstück wanderten. Und ich weiß noch, wie Teo und ich einander über dieses Brett spiel hinweg ansa hen, das ich ihm hatte erklären müssen, weil die Monopolisierung städtischen Grund und Bodens als Spiel eine Idee war, die er nicht nachvollziehen konnte. Warum sollte man eine Straße besitzen wollen? Während dieses Informationsaustausches suchten wir den Blick des anderen mit unverstellter Zuneigung, mit Ernst und noch einer anderen Regung, die ich noch nicht verstand und nie benannte. Ich erinnere mich an seine braunen Augen und dichten Wimpern, den großzügigen Schwung seiner Brauen, seine Fähigkeit, sich gleichzeitig auf mich und das Spiel zu konzentrieren. Es erschreckt mich fast, wie gut ich mich nach dieser langen Zeit noch an sein Gesicht erinnere. Und ich erinnere mich auch an dieses Monopoly-Brett, das wochenlang vergessen draußen liegen blieb, gewellt von der Feuchtigkeit, gedörrt von der Sonne, bis alle Straßen und Grundstücke – Schlossallee, Bahnhofstraße, Parkstraße – verblasst und namenlos geworden waren.
    Am Vortag, nachdem mein Onkel und die Jungs alle beweglichen Möbel ins Wohnzimmer geschleppt hatten, waren Mandy und ich ein paar Stunden damit beschäftigt gewesen, als Vorarbeit für die Maler, die im Lauf der Woche kommen sollten, die Wände der Küche abzuwaschen. Während meine Tante und meine Mutter sorgfältig die Gläsersammlung aus den Regalen nahmen, sagte meine Tante, wenn sie nicht da sei, um Aufsicht zu führen, bezweifle sie, dass alles so laufen werde wie vorgesehen. Auf der Farm jenseits des Sees gab es wohl irgendein familiäres Problem, und sie wollte am Nachmittag aufbrechen und ein paar Tage dort bleiben. Hatte es mit Nachlassfragen zu tun? Ich weiß es nicht mehr, vielleicht wusste ich es auch nie. Sie sagte, mein Onkel neige dazu, in ihre gestalterischen Pläne einzugreifen, und sei ohne Weiteres imstande, ihre Vorstellungen zu sabotieren. Er ist draußen beschäftigt genug, sagte meine Mutter und versicherte, sie werde ihn im Auge behalten, aber es war sonnenklar, dass meine Tante keine Sekunde glaubte, meine Mutter werde sich ihm in den Weg stellen, falls er auf die Idee käme, sich einzumischen. Währenddessen blickte ich durchs Fenster auf das Auto meiner Mutter und wäre am liebsten darin gewesen.
    In diesem Sommer hatte ich noch viele Stunden Fahren geübt. Teo leistete mir Gesellschaft, wann immer er konnte, bat aber nie mehr darum, selber fahren zu dürfen. Meistens war ich allerdings allein am Steuer und in der Landschaft, durch die ich unterwegs war. Links oder rechts von mir, je nachdem, in welche Richtung ich fuhr, glitzerte der See, und dann kamen die Apfelbäume: Weil die Saison dem Ende zuging, waren die Plantagen voll mit mexikanischen Pflückern, Teo unter ihnen; ihre Baumwollhemden waren Farbtupfer zwischen den Zweigen. Manchmal erspähte ich ihn auf einer Leiter oder einer Wiese, dann wieder konnte ich ihn nirgends entdecken.
    Seltsam, dass mir erst jetzt auffällt, wie weit es eigentlich von diesem Haus zur Sanctuary Line ist, der öffentlichen Straße, und wie lang sich unsere private Zufahrt hinzieht. Ich fahre sie jeden Tag entlang und sehe die alten Zuckerahorne an den Wagenfenstern vorüberziehen. Ich fahre nachts und sehe die zwei Fahrspuren des schmalen Feldwegs vom Scheinwerferlicht aus der Dunkelheit geholt und frage mich, ob in jener Nacht die Scheinwerfer brannten oder ob sich der Fahrer mit dem Mondlicht begnügte.
    Ohne formelle Erklärung stiegen Teo und ich aus dem Spiel aus. Wir besaßen beide keine Straßen, die schützenswert gewesen wären, und verkauften deshalb an Mandy, ihre Brüder, ein paar ihrer Freunde. Mandy, glaube ich, besaß sämtliche Bahnhöfe, Shane die Parkstraße und die Schlossallee. Gewinnen konnten wir beide nicht und wussten es, aber nicht deshalb zog es mich fort. Ich hatte an allem das Interesse

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